Verflucht sei Dostojewski
Liebe zu Sonja und den Weg der Erlösung.« Er nickt, um seiner Bewunderung Ausdruck zu verleihen, dann denkt er laut: »Das ist eine gute Lektion für Verbrecher.« Rassul beißt sich auf die Lippen, diese Lippen, die sich vergeblich abmühen, tausendundein Wort über das Buch hervorzubringen. Zum abertausendsten Mal möchte er die Gründe für diesen Mord darlegen: Es geht nicht nur um Diebstahl; für Raskolnikow ist die Wucherin eine Laus, die die Notleidenden aussaugt, und sie zu eliminieren, ein Akt der Gerechtigkeit; durch seine Tat bestätigt Raskolnikow seine Zugehörigkeit zur Kategorie der höheren Menschen, die »jenseits von Gut und Böse« angesiedelt sind; für ihn ist das Verbrechen die höchste Überschreitung des moralischen und sozialen Gesetzes, er stellt seine Unabhängigkeit und Freiheit unter Beweis … Wie alle großen Männer der Geschichte, wie Mohammed, Napoleon oder …
Wie schade!
»… das muss ein interessantes Buch sein. Es ist eine mystische Geschichte«, fährt der Mann mit ernster Stimme fort. Und Rassul beginnt seine Stummheit aufrichtig zu verfluchen, sein Unvermögen, zu erklären, dass Dostojewski tatsächlich kein revolutionärer, kommunistischer, sondern ein mystischer Schriftsteller ist. Er hat es hundert Mal gesagt, aber seine russischen Lehrer wollten nichts davon hören; sie konnten nicht viel anfangen mit dieser sehr orientalischen Art der Interpretation. Sie konnten im Übrigen mit dem ganzen Dostojewski nicht viel anfangen. Dostojewski wurde von den Kommunisten in Russland überhaupt nicht geschätzt. Es war ihnen unmöglich zu akzeptieren, dass das Denken Dostojewskis über die menschliche Psychologie hinausgeht, um zur Metaphysik zu gelangen … Dieses Buch muss in Afghanistan gelesen werden, in diesem einst mystischen Land, das sein Verantwortungsgefühl verloren hat. Rassul ist überzeugt, dass es hier, wenn man Dostojewski in den Lehrplan aufnehmen würde, weniger Verbrechen gäbe!
Welch naive Seele!
Vergiss Dostojewski, rette deine Haut, hör auf diesen Mann, der zu dir sagt: »Komm zu mir, wenn du deine Stimme wiedergefunden hast, dann diskutieren wir in aller Ruhe darüber.« Einverstanden, nickt Rassul ohne große Überzeugung. »Meine Burschen haben nicht die Absicht, dir Ärger zu machen«, sagt der Mann und sammelt die Bücher ein. Dann fällt ihm etwas ein, und er betrachtet Rassul neugierig: »Eine Sache wundert mich doch noch.« Was? »Jano hat gesagt, dass du flüchten wolltest, als sie gekommen sind. Warum?« Nein, er wollte nicht flüchten, das musst du glauben. Er hatte einen Alptraum. Die Tür und das Fenster waren zugesperrt. Er schaffte es nicht, sie zu öffnen. Schau doch seine Hände an, sie sind verletzt.
Aber wie soll man glauben, dass jemand in einem Alptraum eine Fensterscheibe einschlagen kann!
Der Mann starrt auf Rassuls ausgestreckte Hände. Mit betrübter Miene sagt er: »Man muss für Ordnung sorgen im Viertel. Aber es ist schwer, und es reicht nicht, die Bevölkerung zu entwaffnen. Nimmst du ihnen die Waffen, greifen sie zu Messern und Beilen … Gestern erst hat einer mit dem Beil getötet, am helllichten Tag.« Da haben wir’s, sie haben nana Alias Leiche gefunden. Und ich, der Mörder, sitze hier vor dem Sicherheitsbeauftragten der Stadt!
Rassul wird bleich. Er sinkt auf dem Stuhl zusammen. »Was ist los, watandar ?« Rassul schaut den Mann an, bestürzt, mit bebenden Lippen. »Du siehst müde aus. Nimm deine Bücher und geh nach Hause. Wir sehen uns ein anderes Mal, und dann diskutieren wir.« Er zwinkert ihm zu, nimmt sein Gewehr und weckt Jano und seinen Kameraden auf. »Los, Jungs, bringt diesen jungen Mann nach Hause!«, und an Rassul gewandt: »Wie heißt du?« Rassul schreibt seinen Namen auf. »Rassul, wir brauchen gebildete Leute wie dich; ich meine, um der Heimat und dem Islam zu dienen. Komm dich morgen einschreiben und hilf uns, das Viertel sicherer zu machen. Du bist ein Kind von hier. Du kennst die Herkunft und die Vergangenheit jedes Einzelnen. Du weißt, wer und was sich in jedem Haus befindet …« Er lächelt mit entwaffnender Höflichkeit, geht zur Tür und dreht sich dann noch einmal um: »Komm und frag nach Parwaiz, so heiße ich«, und verschwindet. Der schlaue Fuchs! Bestimmt weiß er alles. Aber was will er von mir?
»Los, Rassulowski, beweg dich!«, befiehlt ihm Jano verschlafen. Rassul bleibt reglos sitzen. »Oder willst du etwa gar nicht nach Hause?«
BEVOR ER DEN HOF des Hauses betritt, hat
Weitere Kostenlose Bücher