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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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dir darüber reden.
    Schreib es ihm auf!
    Wozu? So habe ich meine Ruhe, ohne Worte, ohne diese nicht enden wollenden Gespräche. Soll er selber schauen, wie er mit meiner Stummheit zurechtkommt.
    »Yarmohamad hat mir gesagt, sie hätten dich zum Posten von Kommandeur Parwaiz gebracht. Ich kenne ihn.« Na also, recht gehabt. »Wir haben während der 1979 er-Demonstrationen gemeinsam im Gefängnis gesessen. Du kannst dich glücklich schätzen, dass du an ihn geraten bist. Hast du ihm von mir erzählt?« Rassul schüttelt den Kopf, dann steht er auf, um sich erneut ans Fenster zu stellen. Yarmohamad steht schon wieder im Hof. Wieder gibt ihm Rassul ein Zeichen heraufzukommen. »Vergiss ihn, es ist vorbei. Ich habe ihm zwei Monate Mietrückstand bezahlt, er wird dich in Ruhe lassen.« Verlegen angesichts der Großzügigkeit seines Cousins, kehrt Rassul mit kleinen Schritten zum Bett zurück und versucht, ihm mit Gesten zu sagen, das sei nicht nötig gewesen, er hätte es schon selbst bezahlt … Dieselben Worte wie das letzte Mal, als Razmodin drei Monatsmieten für ihn bezahlt hat.
    »Und womit hättest du bezahlt?! Du hast doch alles hingeschmissen. Schau doch nur, in welchem Zustand du bist. Siehst ja aus wie ein Bettler, wie einer, der aus der Irrenanstalt ausgerissen ist!«, hätte Razmodin wieder gesagt.
    Also völlig unnötig, sich abzumühen, um sich verständlich zu machen. Razmodin hofft dennoch, Rassul zu hören. Er versteht nicht, warum er nicht mit ihm spricht. Neugierig sieht er zu, wie Rassul wieder aufsteht und in einem Wäschehaufen herumwühlt, um ein sauberes Hemd zu finden. Sie sind alle schmutzig und zerknittert. Rassul weiß es, er tut nur so; nicht, dass er Razmodin nicht antworten will, er will nur nicht, dass er vom Verlust seiner Stimme erfährt. Sie sind Cousins, sie kennen sich gut. Sie hören sich Sachen sagen, selbst wenn sie schweigen. Aber wie immer lässt Razmodin nicht locker: »Rassul, du musst etwas tun. Wie lange willst du noch so weiterleben? Wenn ich mehrere Sprachen könnte wie du, würde ich das Geld nur so scheffeln. Die ausländischen Journalisten und humanitären Organisationen brauchen allesamt Übersetzer. Jeden Tag werde ich über hundert Mal gefragt, ob ich jemanden kenne, der Englisch kann, und sei es noch so rudimentär. Aber wie sollte ich es wagen, noch einmal deinen Namen zu nennen? Du hast mich schon oft genug in die Scheiße geritten. Über zehn Mal, und ich habe es schwer bereut.« Und wie gewöhnlich wird er ihm verzeihen: »Wenn du willst, vergessen wir, was gewesen ist, und ich stelle dich noch einmal vor. Aber, Cousin, ich bitte dich, leg dich nicht mehr mit den Journalisten an. Was kümmert es dich, wer für wen arbeitet oder warum er diese oder jene Gruppe unterstützt. Nimm deine Dollars und steck dir ihre beschissenen Ideen und politischen Überzeugungen in den Arsch!« Diesmal jedoch wartet er nicht, bis Rassul ihn mit seiner Devise »Dann noch lieber ein Verbrechen als ein Verrat!« in den Ohren liegt, er fährt fort: »Es ist leicht gesagt, lieber ein Verbrechen als ein Verrat. Warum greifst du dann nicht zur Waffe? Du benimmst dich wie schotor-morgh : Wenn du fliegen sollst, sagst du, du bist ein Kamel, und wenn du Lasten tragen sollst, sagst du, du bist ein Vogel. Du hast deine Eltern im Stich gelassen, du hast deine Schwester und deine Freunde vergessen. Wenn du noch völlig den Verstand verlieren willst, dann mach weiter so. Weißt du wenigstens, was du vom Leben willst?« Zornig steht er auf, holt eine Zigarette aus der Tasche und zündet sie an. Rassul, obwohl gereizt durch diese wiederholten Vorwürfe, tut immer noch so, als suche er nach einem Hemd, während er mit dem Kopf nickt und mit der Hand Kreise in die Luft zeichnet, um Razmodin zu verstehen zu geben, dass er die Fortsetzung bereits kennt: »Ich schwöre dir, du hast dich verändert, du bist nicht mehr derselbe. Du wolltest Suphia, du hast sie bekommen. Und nun? Hast du für sie dasselbe Schicksal vorgesehen wie für dich? Cousin, wir sind zusammen groß geworden, wir kennen einander ganz genau, du bist wie ein Bruder für mich. Du hast mir alles beigebracht …« Den Rest verkneift sich Razmodin, da er Rassul wenige Wochen zuvor denselben oder fast denselben Vortrag gehalten und der ihm trocken erwidert hat: »Außer einer Sache.«
    »Was?«
    »Moralpredigten zu halten.«
    »Es sind keine Moralpredigten. Ich halte dir einen Spiegel vor.«
    »Einen Spiegel? Nein, das ist der Boden eines

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