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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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Kommandeur Parwaiz hat mich adoptiert. Er hat mir die Kraft und den Mut zum Kampf gegeben, um meine Familie zu rächen. Damals, als wir unsere Toten, die Zerstörung unserer Dörfer, die Entehrung unserer Schwestern beweint haben … damals hast du dich in den Armen blonder, weißer Mädchen vergnügt, zart und lebendig wie die Fische …, stimmt’s?« Wieder ein Schluck vom heißen Tee. »Das hättest du wohl nicht gedacht, dass Hungerleider, arme Schlucker wie wir, einmal an die Macht kommen …« Rassul kaut mühsam an seinem Brot und an Janos Worten herum. Und der Tee verbrennt ihm Zunge und Kehle. Er würde gern erwidern, dass sein Leben nicht so friedlich verlaufen ist, wie Jano glaubt. Wenn er ihm vom Konflikt mit seinem kommunistischen Vater erzählen würde, könnte er sich in Janos Augen sympathischer machen.
    Nicht unbedingt. Jano würde ihm wahrscheinlich dieselben Vorwürfe machen wie ein anderer Mudschaheddin neulich, der ihm an den Kopf geworfen hat: »Das kommt auch von deiner russischen Erziehung.«
    »Was soll das heißen?«
    »Seinen Vater nicht zu respektieren, das kommt von der russischen Erziehung!«
    »Aber ich wollte nicht die Ideologie meines Vaters übernehmen. Ich war gegen die Invasion meines Landes durch die Russen.«
    »Wärest du ein guter Sohn, würdest du ihn respektieren, seinem Weg, seinen Überzeugungen folgen!«
    »Aber was redest du da? Wie kann man einem Vater folgen, der ein Kriegsverbrecher ist?«
    »Man darf seinen Vater nie verraten, nein, auch nicht, wenn er ein Verbrecher ist.«
    »Auch nicht, wenn er ein kafir ist?«
    Schweigen.
    Mit geblähter Brust schlürft Jano seinen Tee. Rassul betrachtet ihn, unterdrückt den Zorn in seinen Händen, die Lust, sie gegen diese vor Stolz, einem dreisten, elenden Stolz geschwollene Brust zu werfen, diesen mit eitler Macht gefüllten Kasten zu zertrümmern …
    Aber warum denn, Rassul? Was weißt du von ihm? Er hat doch gar nichts gesagt. Lass den Burschen in Ruhe. Er ist glücklich. Er ist stolz. Er leidet nicht wie du. Gott sei Dank, bleib still!
    Trink deinen Tee, iss dein Brot und geh!
    Als er aufsteht, spricht einer der drei Bewaffneten Jano an: »Entschuldige, Bruder, bist du nicht Jano?«
    »Doch.«
    Der Mann rückt lächelnd näher: »Kennst du mich noch? Momen, von der Truppe des Kommandeurs Nawroz?«
    Jano stellt seine Teetasse ab, fährt zusammen: »Aber ja! Wie sollte ich dich vergessen? Du hast dich verändert. Zugenommen hast du. Fünf oder sechs Jahre ist es her … Oder noch länger?«
    »Sechs.«
    Und sie stehen auf, fallen einander in die Arme, küssen sich innig und setzen sich zu einem Kreis. Eine unverhoffte Gelegenheit für Rassul, sich aus dem Staub zu machen. Im Stehen streckt er Jano die Hand hin, um sich zu verabschieden. Der aber will nichts davon wissen. Er lädt ihn ein, mit seinen früheren Kameraden noch einen Tee zu trinken. »Setz dich!« Zu ihnen sagt er: »Diesen Bruder haben wir gestern bei einer Patrouille verdroschen, und heute trinken wir zusammen Tee! Wenn das nicht friedfertig ist, dann weiß ich es auch nicht!«, grinst und zerrt an Rassul, damit er sich wieder setzt.
    Und Rassul fügt sich.
    Man bestellt Tee. Und man raucht. Momen erzählt seinen Freunden: »Unsere unvergessliche Operation! Sechs Jahre ist das her.«
    »Ja, sechs Jahre«, bestätigt Jano mit nostalgischem Blick. Er wendet sich an Rassul: »Es war Sommer. Ein Sommerabend. Wir sollten einen sowjetischen Posten angreifen. Man hatte uns mitgeteilt, Kommandeur Nawroz werde die Operation leiten. Zwischen Kommandeur Nawroz und unserem Kommandeur Parwaiz stand es nicht zum Besten, trotzdem hatte man beschlossen, die Russen gemeinsam anzugreifen. Für uns die Gefangenen, für sie die Waffen …« Momens Lachen hindert Jano am Weiterreden. Ein Schluck Tee, dann die Fortsetzung: »Kurzum, als die Nacht anbrach, ging’s los!« Diesmal wird er von seinem eigenen Lachen unterbrochen. Momen macht weiter: »In unserer Truppe gab es einen Mudschaheddin namens Schirdel. Er war mutig, ein guter Moslem, hatte aber eine kleine Schwäche für Jungs! Das hat ihm einen Spitznamen eingebracht: kirdel .« Schwanzherz, was einen allgemeinen Heiterkeitsanfall auslöst. »Als unsere Truppe sehr vorsichtig und sehr leise das Waffenlager angreift, stößt unser bradar Schirdel auf einen jungen russischen Soldaten, der gerade scheißt! …« Ihr lautstarkes Gelächter lässt sämtliche Gäste des Teehauses verstummen. Auch sie hören zu. Jano laufen

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