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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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er wutentbrannt durchs Schilf. Erst versuchte er, die Wölfe mit Steinen zu verjagen. Doch da kamen sie auf uns zu. Sie sahen schrecklich aus mit ihren funkelnden Augen. Noch verängstigter als zuvor, versteckte ich mich hinter meinem Vater, der seine Flinte auf sie anlegte. In dem Augenblick, als sie zum Angriff ansetzten, ertönte ein Schuss, und einer der Wölfe sank röchelnd zu Boden. Der andere blieb stehen, aber mein Vater zielte mit dem Gewehr auf ihn; das Tier wich zurück, ergriff die Flucht.
    Der Esel brüllte weiter.
    Wir mussten die Gegend schleunigst verlassen, bevor das ganze Rudel kam. Während mein Vater ins Schilf zurückkehrte, um unsere Sachen zu holen, eilte ich zum Esel und versuchte, ihn zu beruhigen, indem ich ihn streichelte und sein Halfter löste. Endlich verstummte er.
    Während mein Vater das Tier anschirrte, überwachte er den Himmel und die Umgebung, wetterte und fluchte über den verdammten Scheißhimmel!
    Dann gingen wir.
    Es wurde Nacht, der Mond schien, der Esel schritt voran und wir hinter ihm her. Von Zeit zu Zeit beleuchtete mein Vater den Weg mit seiner Taschenlampe. Wir erklommen einen Hügel; auf dem Gipfel blieb der Esel stehen. Mein Vater schlug ihn auf die Kruppe, doch der Esel wollte sich nicht rühren. Unsicher beäugte er den Weg. Mein Vater schlug ein zweites Mal zu, stärker diesmal; da setzte sich der Esel langsam in Bewegung. Ich hatte Angst, wir könnten uns verirren; mein Vater beruhigte mich, der Esel kenne den Weg genau, das Dorf könne nicht mehr weit sein, noch eine Stunde vielleicht.
    Als wir unten ankamen, hatten wir ein weiteres Feld vor uns, dann einen weiteren Hügel. Auf dem Gipfel blieb der Esel erneut stehen. Durch Schläge ließ er sich widerwillig den Abhang hinuntertreiben.
    Am Fuß des Hügels tat sich ein riesiges Feld vor uns auf, in seiner Mitte ein einzelner Baum, auf den der Esel zielstrebig zusteuerte. Als wir uns näherten, bemerkten wir im Halbdunkel einen Tierkadaver, über den ein anderes Tier wachte. Mein Vater schaltete die Taschenlampe ein. Es war ein toter Wolf. Der zweite Wolf hob den Kopf. Entsetzt blieben wir stehen. Mein Vater lud das Gewehr. Der Esel näherte sich den beiden furchtlos. Der Wolf kam ihm mit einem Heulen entgegen. Als der Vater auf den Wolf zielte, machte er sich davon.
    Der Esel lief an dem Kadaver vorbei und blieb unter dem Baum stehen. Der Schein der Taschenlampe fiel auf die Leiche des Tieres, dann auf den Baum und schließlich auf die Umgebung. Erst überrascht, dann entsetzt stellten wir fest, dass wir uns wieder an derselben Stelle befanden wie zuvor, dort, wo mein Vater den Wolf getötet hatte. Mit zitternder Stimme fragte ich, warum uns der Esel an denselben Ort zurückgeführt habe. Mein Vater hatte nicht die leiseste Ahnung. Verstört ging er auf den Esel zu. Er schlug ihn auf den Rücken, um ihn anzutreiben. Doch der Esel rührte sich nicht. Ein ungläubiger Blick. Mein Vater ergriff den Stock, gab mir den Strick und befahl mir zu ziehen. Nichts zu machen. Das Tier hatte beschlossen, sich nicht mehr vom Fleck zu bewegen. Ich las es in seinen erloschenen, müden Augen. Ich streichelte ihn, flehte ihn an. Immer noch nichts. Zunehmend beunruhigt, gab mir mein Vater den Stock, nahm den Strick wieder selbst und schrie, ich solle den Esel schlagen, auf den Kopf, auf den Rücken.
    Aber ich brachte es nicht über mich. Meine halbherzigen Schläge erzürnten meinen Vater, er schimpfte und fluchte. Seine Stimme hallte, vermischt mit dem Heulen der Wölfe, über die Ebene. Den Tränen nahe, fing ich an, den Esel in ohnmächtiger Wut zu verprügeln. Aber es war einfach nichts zu machen. Entmutigt und erschöpft gab ich auf und brach in Schluchzen aus. Mein Vater ließ die Leine des Esels los und schlug ihm den Gewehrkolben über den Schädel. Das Tier brach zusammen. Es war unmöglich, es zum Aufstehen zu bewegen. Alles schien vergeblich: meine Tränen, das Heulen der Wölfe, das immer näher kam, die hitzigen Befehle meines Vaters, der wieder zum Stock gegriffen hatte und seine Spitze ins Fleisch des Esels bohrte, während er drohte, ihm den Gewehrlauf in den Arsch zu stecken und ihn in die Luft zu jagen, wenn er sich nicht bald rührte. Der Esel blieb unerschütterlich liegen. Mein Vater war außer sich und hob das Gewehr, um auf ihn zu zielen. Das Tier schaute meinen Vater ohne jede Regung an.
    Meine Schluchzer waren verebbt. Nur noch das Heulen der Wölfe zerriss die Stille. Das Gewehr in der Hand meines Vaters

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