Verflucht sei Dostojewski
und verirren wird. Er wird alles vergessen, sogar sich selbst!« Kaka Sarwar schließt die Augen und rezitiert das Gedicht: »Wenn man ihm sagt: ›Sag, ob du bist oder nicht. Bist du darin oder außerhalb? Bist du abseits, verborgen oder sichtbar? Bist du vergangen, geblieben oder beides? Und wenn du nicht beides bist, bist du es oder nicht?‹, sagt er: ›Ich weiß überhaupt nichts und kenne auch nicht das Ich weiß nicht . Ich bin verliebt, aber ich weiß nicht, in wen. Ich bin weder Muslim noch Ungläubiger, also wer bin ich? Aber ich weiß nichts über meine Liebe. Mein Herz ist voller Liebe, aber auch leer.‹«
»Und, befinden wir uns in diesem Tal?«, fragt Hakim und löst Gelächter unter den Rauchern aus.
»Wenn du uns, statt dumme Fragen zu stellen, mit deinem Haschisch in Staunen versetzen könntest, dann JA !«, sagt kaka Sarwar und gibt das Schillum nach einem tiefen Zug an Jalal weiter, der wieder etwas zu sich gekommen ist: »Der Krieg hat also noch nicht begonnen.«
»Er ist schon vorbei. Rauch, rauch ruhig weiter!«, beruhigt ihn Mostapha. Dann sagt er zu Rassul: »Er hat nämlich Angst vor dem Krieg. Er hat Angst vor Blut, vor Schüssen und Granaten. Bevor er im Krieg umkommt, will er sich lieber mit Haschisch umbringen. Seit vier Tagen taumeln wir von einer saqichana zur nächsten.«
Das Schillum zieht nicht mehr. Jalal hebt völlig entsetzt den Kopf: »Ist es aus?«
»Der Krieg? Ja.«
»Nein, das Haschisch …«
Hakim beugt sich vor, um ihm eine neue Pfeife zu füllen: »Hast du Geld?«
»Geld? … Mostapha, hast du …?«
»Nein, mein Jalal. Wir sitzen alle auf dem Trockenen, auf unseren trockenen Ärschen.«
Rassul steht auf, schwankt, nimmt einen Fünfhundert-Afghani-Schein aus der Tasche und überreicht ihn Jalal. Sämtliche Blicke richten sich erstaunt und bewundernd auf ihn. Er holt einen zweiten Fünfhundert-Afghani-Schein hervor und hält ihn Hakim hin, damit er für alle Kebab holt.
Sämtliche Stimmen erheben sich, danken Rassul. Er selbst verlässt das Rauchergeschoss, stolz, leicht. Leichter als Luft. Welches Entzücken! Von nun an wird er von Rostams Geld leben, wie er von dem der nana Alia hätte leben können. Würdig und glücklich.
Und jetzt hole ich Suphia. Ich werde sie in meine Arme schließen. Wir werden heiraten. Ich bringe sie, sie und unsere beiden Familien, weit weg von hier, irgendwohin, hinter die Grenzen des Terrors.
Er rennt.
Die Erde unter seinen Füßen erbebt vom Einschlag einer Granate.
Er rennt.
Nichts hält ihn auf. Weder die Schüsse noch der Verkehr noch der Schmerz in seinem Knöchel.
Nichts erreicht ihn. Weder die Schreie noch das Weinen noch die Hilferufe.
Erst vor Suphias Haus bleibt er stehen.
Er wartet, bis er wieder zu Atem kommt, dann klopft er an die Tür.
Es dauert ziemlich lange, bis geöffnet wird. Es ist Dawud. Sieh an, ausnahmsweise ist er mal nicht auf dem Dach! »Um diese Zeit fliegen keine Tauben.« Dawud schließt die Tür und folgt Rassul fiebrig. »Meine Taube ist wiedergekommen. Gleich als du gegangen bist, war sie wieder da. Ich glaube, sie war sehr weit weg«, er grinst, »ich habe sie bereits eingetauscht gegen …«, stolz und zufrieden geht er in eine Ecke des Hofs, klaubt etwas unter dem Taubenkäfig hervor und bringt es Rassul. »Schau, gegen was ich sie eingetauscht habe.« Es ist ein Colt. »In gutem Zustand!« Rassul prüft das Magazin, es ist geladen. »Ich habe ihn für dich besorgt …« Für ihn? Was soll er denn damit? »Alle haben einen, nur du nicht! Wenn du einen hast, wirst du nicht sterben. Versteck ihn, damit meine Mutter ihn nicht sieht.« Nervös nimmt Dawud ihn wieder an sich und versteckt ihn unter dem Hemd. »Dein Cousin war hier. Er hat dich gesucht. Er hat gesagt, er geht nach Mazar.« Rassul betritt den Flur und sieht Licht in der Küche. Er geht hinein und begrüßt Suphias Mutter. »Wie geht es dir, mein Sohn? Razmodin war da, er hat uns das mit deinem Vater gesagt. Gott hab ihn selig und möge ihm einen Platz im Paradies gewähren. Wie geht es deiner Mutter und deiner Schwester?« Sie weicht Rassuls Blick aus. »Was muss sie nicht alles durchmachen, deine arme Mutter!« Stille, als Zeichen der Trauer.
Und Suphia? Wo ist sie?
Rassul wirft einen Blick in den Flur. Kein Laut, keine Spur von ihr. »Ich habe Nazigol um ein wenig Geld gebeten, ich habe mir gesagt, meine Kinder sollen sich einmal satt essen können«, erklärt sie, wie um sich zu rechtfertigen. Aber wofür? Sie beugt
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