Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
Schatten auf ihre Körper, als sie sich liebten.
22
»Der Papa bleibt heute Nacht bei dir.« Evi strich Simon über die heiße Stirn. Eine geruhsame, fließende Bewegung. Sie war die Ruhe in Person, und Alois beneidete sie um ihre Gelassenheit. Dieses unglamourös Bodenständige, das sie an sich hatte und das ihn normalerweise störte, heute tat ihm das gut, wirkte besänftigend auf ihn und dämpfte seine vibrierende Nervosität.
»Cool«, flüsterte Simon. »Liest du mir was vor?«
Alois sah sich um. Ein Buch ragte aus der Tasche, die Evi für Simon gepackt hatte. Er zog es heraus. »Klar.«
Evi musste zum Dienst. Sie hatte Nachtschicht im Rechts der Isar. Damit Simon nicht allein auf der Kinderstation im Klinikum Dritter Orden bleiben musste, hatte sie mit der Stationsschwester gesprochen und ein Eltern-Kind-Zimmer organisiert.
»Ich löse dich morgen früh ab.« Einen Moment zögerte sie, bis er ihr entgegenkam und sie umarmte. Eine ungewohnte Berührung. Evi als seine Ex zu bezeichnen, war absolut übertrieben. Sie waren nie ein Paar gewesen. Sie kannten sich seit Schulzeiten, und dann, vor sechs Jahren, war ihm die Evi auf der Maidult in Regensburg über den Weg gelaufen. Eine laue Nacht, ein voller Mond am Himmel, ein paar Bier zu viel, eine duftende Wiese am Donau-Ufer, und es war passiert. Neun Monate später war er Vater geworden. So schnell konnte es gehen. Seither hatte er immer Kondome dabei. Immer.
Evi löste sich von ihm, gab Simon nochmals einen Kuss und verließ das Zimmer.
Er schlug das Buch auf und setzte sich an Simons Bett. Der Kleine sah so verloren darin aus, dass es ihm das Herz zusammenzog. Ein Untersuchungsmarathon lag hinter ihm. Die gute Nachricht war die, dass Simon keine Meningitis hatte. Doch es ging ihm für einen grippalen Infekt zu schlecht. Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen mussten eine andere Ursache haben. Er war völlig schlapp und kraftlos, und die Ärzte wussten nicht, woran es lag. Morgen sollten weitere Untersuchungen folgen.
Ich mach dich gesund, sagte der Bär. So hieß das Buch. »Soll ich dir vorlesen, wie der kleine Bär den kleinen Tiger mal ins Krankenhaus gebracht hat?«, fragte Alois.
»Da werde ich doch traurig. Lieber von Rittern und Drachen.«
Alois fand das gewünschte Buch in der Tasche. Er hatte es erst zur Hälfte vorgelesen, als Simon einschlief. Lange blieb er sitzen und betrachtete seinen Sohn. Das blasse Gesicht, die fiebrigen Flecken, das schweißverklebte Haar. Alles wird gut, sagte er sich, während gleichzeitig eine innere Stimme dagegenhielt: Wer weiß, was sich dahinter verbirgt? Vielleicht eine ernsthafte Erkrankung.
Woher kam diese Kraftlosigkeit? Simon war ein quirliger Junge, ein Sportler, kein Stubenhocker. Er kraxelte lieber im Klettergarten eine Wand hoch, als vor dem Fernseher zu sitzen. Und eine Kanufahrt auf der Amper war ihm allemal lieber als jedes Computerspiel. Was war nur mit dem Jungen los? Welches Monster arbeitete in seinem kleinen Körper und beraubte ihn aller Kraft?
Gegen zehn sah die Nachtschwester herein. Das Fieber war weiter gesunken. Doch der Junge schlief unruhig. Alois setzte sich an den Tisch und aß sein Abendbrot, das Evi für ihn organisiert hatte und das schon seit Stunden dort stand. Eine trockene Scheibe Graubrot, Käse und Bierschinken. Vanillepudding als Nachspeise. Den ließ er stehen. Einen Augenblick überlegte er, in die Cafeteria zu gehen und sich ein Bier zu holen. Doch wenn Simon aufwachte und er war nicht da? Also trank er den kalt gewordenen Früchtetee.
Schließlich putzte er sich mit der Krankenhauszahnbürste die Zähne, schlüpfte aus Hose und Hemd und legte sich aufs Bett. Sein Großonkel, der Beppo, hatte es irgendwann mit dem Herzen bekommen. Ihm war nie eine Arbeit zu viel gewesen. Zentnersäcke hatte er gewuchtet, Schweine geschlachtet und im Winter Bäume gefällt. Und dann war es auf einmal vorbei gewesen mit seiner Kraft. Das Herz hatte nicht mehr mitgemacht. Doch der Beppo war über achtzig und der Simon grad mal fünf.
Alois drehte sich auf die Seite und lauschte auf jeden Atemzug, den sein Sohn tat, wartete auf den nächsten, auf den folgenden, immerfort, dabei stieg die Angst wieder in ihm auf. In der Dunkelheit nahm sie monströse Formen an. Wenn Simon was mit dem Herzen hatte? Und niemand hatte das bisher bemerkt? Er sah seinen Jungen schon auf dem OP-Tisch. Grelles Scheinwerferlicht, piepende Geräte, die Stimme des Chirurgen. Skalpell. Scharfer Stahl, der in Simons
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