Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
los war, auch weil Mam es von ihm fernhielt, und nun musste sie es wieder richten. Und in einer Minute würde sie ausflippen.
Aus dem Kühlschrank nahm Mika eine Bionade und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Die neue Frisur fühlte sich noch fremd an. Sie ging hinaus auf die Terrasse. Mam sah auf. Ihr Glas war leer. Mika nahm die Flasche mit der Kühlmanschette hoch und schenkte einfach nach. Die Nerven ihrer Mutter würden das perlende Prickeln gleich nötig haben.
Die Reaktion kam wie erwartet. Im ersten Moment erkannte Mam sie beinahe nicht, gefolgt vom entsetzten Ausruf: »Mika! Wie siehst du denn aus? Was hast du nur mit deinen Haaren gemacht?«
»Ich habe diese ganze Verlogenheit satt.« Diese Worte hatte sie wie Pfeile abschießen wollen. Doch sie fielen aus ihrem Mund. Tropften beinahe. Kraftlos und müde. »Schluss mit der Heuchelei. Meine Haare sind von Geburt an straßenköterbraun und nicht tussiblond. Ich wollte nie lange Haare haben. Du wolltest das. Immer du, du, du! Ich will nicht so sein, wie du mich haben willst. Damit ist jetzt Schluss. Ich bin ich.« Das klang besser, beinahe gut. Doch sie fühlte sich fremder in sich als je zuvor. Und dieses Gefühl grub sich seit Monaten tiefer und tiefer in sie hinein, wie ein eisiger Fluss ins mürbe Gestein, das dem steten Fließen nachgab, sich Körnchen um Körnchen seiner selbst entreißen ließ, bis es zu einer in tiefe Schluchten geformten, zerfurchten, fremden Landschaft geworden war, einer Landschaft, in der man sich verlor.
Alles löste sich auf, brach auseinander, niemand war der, der er vorgab zu sein. Daniel nicht. Phillip nicht. Lukas vielleicht auch nicht. Und Mam sowieso nicht. Mam hatte keine Ahnung, wer sie war. Mam erfand sich täglich neu, formte sich nach den Bildern, denen sie meinte, gerecht werden zu müssen. Die Gattin, die dem Mann den Rücken freihält, damit er erfolgreich sein kann. Die engagierte Mutter, die unermüdlich am Erfolg ihrer Kinder arbeitet, die jugendlich wirkende Fünfzigjährige, die Frau, der einfach alles gelingt und die alles hat, was das Herz begehrt, und die immer weiß, was zu tun ist, um diesen Schatz an materiellen und immateriellen Gütern zu bewahren und zu mehren. Immer Sonnenschein, niemals Schatten.
Mam erwiderte nichts auf Mikas Vorwürfe. Das war ungewöhnlich. Stattdessen stand sie auf und zog ihre Tochter an sich. »Ach, Mika.«
Sie ließ es geschehen, obwohl sie ihre Mutter am liebsten von sich gestoßen hätte. Doch der Impuls erlosch. Mam roch so gut, so vertraut, so beständig. So wie immer. »Was ist nur los mit uns?«, fragte ihre Mutter. »Es kommt mir vor, als ob sich der Kitt aus den Fugen löst, der unsere Familie zusammenhält. Phillip … Ich hätte nie gedacht, dass jemals die Polizei unser Haus durchwühlt. Dieser Christian … Wie konnte Phillip sich nur derart von ihm beeinflussen lassen? Ich verstehe es nicht.«
Der vertraute Geruch stimmte Mika versöhnlich. Mam spürte also auch diese Kraft, die alles auflöste, auseinandertrieb, auf einen Abgrund zurutschen ließ. Plötzlich tat sie ihr leid, und gleichzeitig stieg Angst in ihr auf. Der Wasserspiegel im Pool lag so ruhig da wie eine Scheibe Glas. Sie stellte sich vor, wie sie darauftrat, ein zitterndes Schwanken unter ihren Fußsohlen spürte, ein leises, haarfeines Knacken hörte, dann barst die Scheibe in einem Knall. Scherben spritzten funkelnd wie Sterne hoch zum Nachthimmel, flogen durch tiefe Unendlichkeit, trieben durch die Milchstraße, entschwanden in schwarze Löcher, während sich gleichzeitig ein Schlund unter ihr auftat, und sie fiel und fiel und fiel.
Ein leiser Nachtwind strich durch den Garten, kräuselte kaum merklich die Wasseroberfläche und nahm die Gedanken mit sich. Ein leises Schauern blieb.
»Mika, ist dir kalt? Brütest du etwas aus? Vielleicht diese Sommergrippe, die zurzeit umgeht. Ich hole dir eine Jacke, und nimm vorsichtshalber ein Aspirin.«
Mam war wieder ganz die Alte. Es gab etwas zu tun. Sie verschwand im Haus. Mika ließ sich auf den Gartenstuhl fallen. Mam ging es gut, sobald sie etwas unternehmen konnte, um die Dinge in die Richtung zu lenken, die sie für richtig hielt. Doch dieses Diffuse und Unfassbare, das den Kitt aus den Fugen bröseln ließ, musste auch ihr Angst machen. Sie fühlte sich ohnmächtig und hilflos. Doch nun war eine Sommergrippe im Anflug, man konnte etwas tun. Phillip saß in einer Haftzelle, das war nicht schön. Es war sogar richtig ärgerlich. Doch
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