Verfluchte Seelen
Apartment gezeigt hatte.
Die Größe der Wohnung hatte ihn verblüfft. Während er auf dem Sofa gesessen und begeistert den großen Flachbildfernseher, die bequemen Möbel und die elektronischen Spielereien beäugt hatte, hatte sie ihm Blut abgenommen, seine Temperatur und den Blutdruck gemessen und alle anderen Untersuchungen gemacht, die die Ärzte und Schwestern normalerweise bei Sterblichen durchführten, wenn diese ins Krankenhaus kamen.
Für einen Vampir waren seine Werte vollkommen normal.
Am nächsten Tag würde sie die Anamnese machen. Ihn fragen, welche Krankheiten er vor seiner Verwandlung gehabt hatte, wie lange er schon ein Vampir war, wie es überhaupt dazu gekommen war und wie er seitdem gelebt hatte. Was er gegessen hatte. Wie oft er Blut getrunken hatte. Von wem er getrunken hatte.
Er machte den Eindruck eines sympathischen jungen Mannes, auch wenn er noch etwas zurückhaltend war. Sie freute sich auf die Zusammenarbeit mit ihm und glaubte, dass Cliff sich jetzt – da Joe immer weniger lichte Momente hatte – über seine Gesellschaft freuen würde.
Während sie auf das Kurvenblatt hinunterschaute, wunderte sie sich darüber, warum sie sich so … mutlos fühlte? War es das, was sie empfand? Mutlosigkeit?
Eigentlich hätte sie nach Bastiens leidenschaftlichem Kuss ein paar Zentimeter über der Erde schweben und sich auf das Wiedersehen freuen müssen.
Stattdessen rutschte sie unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, als stünde jemand in der Ecke, der sie beobachtete. Zweimal hatte sie sich dabei ertappt, wie sie auf der Innenseite ihrer Wange herumgekaut hatte – eine nervöse Angewohnheit, die sie immer überkam, wenn sie sich Sorgen machte.
Melanie legte den Stift hin und sah sich in ihrem Büro um. Alles war wie immer. Keine unheimlichen Schatten, die in der Zimmerecke lauerten. In letzter Zeit hatte sie Probleme mit dem Lesen gehabt (und sie war zu dickköpfig, um sich einzugestehen, dass sie möglicherweise eine Lesebrille brauchte – dafür war sie verdammt noch mal zu jung!), daher hatte sie die hellste Glühbirne in die Lampenfassung geschraubt, die sie hatte finden können. Im Zimmer war es so hell wie draußen an einem sonnigen Nachmittag. Ihre Seerosen und der Bambus gediehen prächtig und verliehen dem Zimmer fröhliche Farbtupfer. Genau wie der Katzenbaby-Kalender.
Ein ungutes Gefühl ließ ihre Zehen kribbeln; es fühlte sich an, als stünde sie am Strand, während die Wellen an ihren Zehen knabberten.
Was war nur los? War irgendetwas mit Bastien? War ihm etwas zugestoßen?
Sie griff nach ihrem Handy und wählte seine Nummer.
»Hallo?«
»Hey. Ich bin’s.«
»Hey. Hat sich Stuart schon eingelebt?«
»Ja. Er hat sogar schon Mr Reordon kennengelernt, der überraschend freundlich zu ihm war.«
»Gut.«
»Ist bei euch alles okay?«
»Ja. Tatsächlich ist es schon fast gruselig, wie wenig sich tut. Warum? Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Es ist nichts.«
»Nein, im Ernst. Was ist los? Ich höre an deiner Stimme, das etwas nicht stimmt. Du klingst besorgt.«
Sie seufzte. »Es ist nur … ich habe dasselbe ungute Gefühl wie in der Nacht, als die Soldaten auf mich geschossen haben und … da hier alles in Ordnung ist, hatte ich befürchtet, dass du vielleicht in Schwierigkeiten bist. Ach, ich weiß auch nicht. Ich komme mir blöd vor, weil ich dich gestört habe.«
»Also erstens – du hast mich nicht gestört.«
»Er hat schon wieder schwärmerischen Gedanken nachgehangen und dabei laut geseufzt«, kommentierte Richart im Hintergrund.
Melanie lachte. »Hi, Richart.«
»Ignorier ihn einfach«, sagte Bastien. »Zweitens – hast du vielleicht eine Vorahnung?«
»Ist Dr. Lipton eine
Begabte
?«, war Lisettes Stimme im Hintergrund zu vernehmen.
»Hi, Lisette«, sagte Melanie.
»Ist ein Mindestmaß an Privatsphäre zu viel verlangt?«, fragte Bastien genervt.
»Qui«
, entgegnete Lisette. »Hallo Dr. Lipton. Sind Sie eine
Begabte
?«
»Ja.«
»Merveilleuse!«
»Das war’s.« Eine Sekunde verging. Am anderen Ende der Leitung war Rauschen zu hören. »Okay. Sag schnell, was los ist, bevor sie mich finden. Ich bin auf der anderen Seite des Unigeländes.«
Obwohl Melanie lächelte, spürte sie tief im Inneren, das eine dunkle Gefahr über ihnen schwebte.
»Was ist los?«, fragte Bastien besorgt.
Wie war es nur möglich, dass die anderen seine guten Eigenschaften nicht sahen?
»Nichts. Hier ist alles ruhig. Ich bin einfach … besorgt … als wenn in Kürze etwas
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