Verfluchte Seelen
ihren Platz behauptet und die schönen braunen Augen weit aufgerissen.
Diese Frau besaß Mut. Viel Mut.
Als sie ihn in Vincents Apartment gelassen hatte, war er ihr bewusst ziemlich nahegekommen. Er hatte sie berühren und wissen wollen, was sie empfand. Natürlich hatte sie Angst gehabt und war wegen der verwundeten Sicherheitsleute besorgt gewesen. Aber sie hatte sich mehr vor der Situation gefürchtet als vor ihm.
Sagen Sie denen nicht, dass Sie mich angerufen haben
, hatte er ihr geraten.
Es ist besser für Sie, wenn Sie nicht mit mir in Verbindung gebracht werden. Sie waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Das ist alles. Ich habe Sie bedroht und gezwungen, mir die Tür zu öffnen. Sie fürchteten um ihr Leben.
Das hatte ihr nicht gefallen, und sie hatte versucht, ihm zu widersprechen. Aber dann waren die Sicherheitsleute gekommen und …
Noch Tage später hatte Bastien bei jedem Netzwerkbesuch gespürt, dass sie Schuldgefühle plagten. Ihre Reue darüber, dass sie nicht den Mut gehabt hatte, sich für ihn einzusetzen, und ihre Entschlossenheit, diesen Fehler nicht noch einmal zu machen. Das war Balsam für seine Seele gewesen und hatte geholfen, die Wunden zu heilen, die ihn seit zwei Jahrhunderten plagten.
Er hätte diese Gefühle ignorieren sollen.
Er hätte seine Besuche beim Netzwerk nicht auf ihre Zeitpläne abstimmmen sollen, sodass er jedes Mal da war, wenn sie Zeit mit den Vampiren verbrachte.
Dann hätte sie sich vielleicht nichts aus ihm gemacht. Dann wäre es ihr vielleicht wie allen anderen egal gewesen, ob die Droge bei ihm bleibende Schäden hinterließ, und sie hätte nicht darauf bestanden, ihn zu überwachen.
Das alles war seine Schuld.
»Seth würde dich jetzt darauf hinweisen, dass jeder einen freien Willen besitzt«, bemerkte Étienne von seinem Platz neben der Tür aus.
Bastien fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und richtete sich auf. »Wie bitte?«
Der Franzose sah aus, als fühlte er sich unbehaglich. »Freier Wille«, wiederholte er. »Dr. Lipton hat euch aus freiem Willen begleitet.«
Richart sah seinen Bruder an. »Tatsächlich hat sie sogar darauf bestanden.«
Normalerweise hätte Bastien Étienne einen Denkzettel dafür verpasst, dass er seine Gedanken gelesen hatte, obwohl diese ihn nichts angingen, aber er war einfach zu erschöpft. Auch wenn er es den anderen nichts gesagt hatte – während er Melanies Mörder ihrer gerechten Strafe zugeführt hatte, war er wieder mit der Droge betäubt worden.
Étienne fluchte.
Stirnrunzelnd warf Richart ihm einen Blick zu. »Was ist los?«
»Er ist betäubt worden.«
»Verdammt noch mal!«, fuhr Bastien ihn an. »Hör endlich auf, meine Gedanken zu lesen!«
Cliff richtete sich auf. »Du bist
schon wieder
betäubt worden?«
»Vielleicht stecken
die
beiden ja auch dahinter«, sagte Joe, dessen vorwurfsvoller Blick unablässig auf die Zwillingsbrüder gerichtet war.
Beschwichtigend klopfte Bastien dem Jungen auf die Schulter. »Die beiden haben nichts damit zu tun. Das waren die Soldaten.«
»Die Soldaten vom Netzwerk«, schnaubte Joe verächtlich.
»Nein. Das waren die Söldner, von denen ich dir erzählt habe. Die Soldaten vom Netzwerk helfen uns bei unserem Kampf gegen sie.«
In diesem Augenblick meldete sich Cliff zu Wort. »Du musst dich von einem der Ärzte untersuchen lassen.«
»Mir geht es gut.«
»Du bist heute Nacht
dreimal
mit Drogen vollgepumpt worden. Zuerst mit dem Betäubungsmittel und dann mit dem ungetesteten Aufputschmittel, von dem Dr. Lipton glaubte, dass es dich töten würde. Dann wieder mit dem Betäubungsmittel. Du solltest dich wirklich von Linda untersuchen lassen.«
Bastien schüttelte den Kopf.
Er kannte Linda nicht. Und er
wollte
sie auch nicht kennenlernen.
»Sie ist wach«, sagte Étienne.
»Linda?« Natürlich war sie das. Bastien konnte sie weinen hören.
»Nein, Isaac Newton. Dr. Lipton. Und es geht ihr gut. Sie hat keinen Gehirnschaden davongetragen.«
Vor Aufregung begann Bastiens Herz schneller zu schlagen. »Woher weißt du das?«
»Ich weiß es, weil sie an dich denkt.«
8
Langsam öffnete Melanie die Augen.
Die schmucklosen Wände des Operationssaals tauchten in ihrem Gesichtsfeld auf. Maschinen, die sie in der Vergangenheit benutzt hatte, um zahllose Patienten zu untersuchen, summten und piepten.
Wo war Bastien?
Sie sah sich um.
Neben ihr saß Linda, Nase und Wangen vom Weinen fleckig und gerötet, und auch ihre Augen waren rot umrändert. Sie
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