Verfolgt im Mondlicht
sah Holiday verzweifelt an. »Meine Mom küsst so ’nen ekligen Typen mit Zunge und das vor allen anderen«, platzte sie heraus. »Natürlich bin ich gestresst!«
»O nein!«, rief Holiday aus.
»Was denn?« Kylie sah Holiday beunruhigt an.
»O Kylie«, murmelte Holiday. Dann schaute sie sich suchend im Raum um und winkte dann aufgeregt Burnett zu.
»Was ist denn?« Kylie sah schnell zur Tür, weil sie erwartete, dass Mario oder sonst jemand Unerwünschtes den Speisesaal betreten hatte.
Nope. Kein Mario.
»Verflixt und zugenäht!«, flüsterte Holiday. »Kylie, wo bist du hin?«
»Was meinst du denn? Ich bin doch hier. Neben dir.« Kylie schaute an sich runter, aber dort, wo ihre Füße sein sollten, sah sie nur den Fußboden. Keine Turnschuhe, keine Beine. Keine Kylie.
»O fuck!«, murmelte sie, und obwohl sie schon länger nicht mehr daran gedacht hatte, erinnerte sie sich jetzt wieder an etwas. Ihr Vater, Daniel, hatte ihr gesagt, dass sie die Dinge gemeinsam herausfinden würden. War es jetzt so weit? Fühlte es sich so an zu sterben?
29. Kapitel
Moment mal , dachte Kylie. Wenn sie tot war, müsste sie dann nicht irgendwo als lebloses Häufchen auf dem Boden liegen?
»O Mist!«, murmelte Kylie, als ihre Mutter mit einem alarmierten Gesichtsausdruck auf Holiday zulief.
»Wo ist Kylie hin?«, fragte ihre Mom.
»Sie … musste auf die Toilette, glaube ich, aber … ich weiß nicht genau.« Holidays Stimme klang etwa eine Oktave zu hoch.
Burnett erschien neben Kylies Mutter. Er musterte Holiday, als versuchte er an ihrem Gesicht abzulesen, was los war. »Stimmt was nicht?« Seine ruhige Fassade war beinahe überzeugend, doch Kylie sah, wie seine Kiefermuskeln zuckten.
»Äh, Kylie … sie … ist verschwunden. Ich dachte, vielleicht kannst du sie suchen gehen.«
Verschwunden? Also war sie einfach verschwunden. Sie war nicht tot.
»Verschwunden?« Burnett sah Holiday ratlos an.
Holiday nickte und hielt den Augenkontakt zu Burnett, als wollte sie ihm klarmachen, dass es ernst war.
Und ja, es war verdammt ernst. Sie war unsichtbar!
»Das ist verrückt.« Ihre Mom klang verwirrt. »Sie war eben noch hier, und dann … war sie plötzlich weg.«
Plötzlich weg? Verschwunden? Kylie fiel ein, dass sie sich gewünscht hatte, wie ein Geist verschwinden zu können.
Verdammt! Verdammt! Verdammt! Wie war das noch? Die Geister, die ich rief …
Ihr Kopf war voller Fragen. War sie noch ein Vampir? Hatte sie sich wieder in eine Hexe verwandelt und aus Versehen mit dem kleinen Finger gewackelt, als sie ihren Wunsch geäußert hatte? Oder hatte das nur damit zu tun, dass sie ein Chamäleon war? Immerhin hatten sich ihr Großvater und ihre Großtante auch einfach so in Luft aufgelöst – und zwar schon zweimal. War dieses Verpuffen dasselbe wie ihr Verschwinden?
Die Worte ihres Großvaters kamen ihr wieder in den Sinn: Komm mit uns. Wir helfen dir, alles zu verstehen. Du musst erfahren, wer und was du bist, Kylie.
Mehr denn je und vielleicht nicht mal zum ersten Mal fragte sich Kylie, ob sie sich richtig entschieden hatte.
»Sie haben Kylie verloren?«, polterte John aufgebracht. »Was ist das für ein Ort, der ein Kind verliert?«
»Wir haben sie nicht verloren«, widersprach Holiday, aber Kylie sah die Panik in ihren Augen. »Ich bin mir sicher, sie wird jede Minute zurück sein.«
Ihre Mom schien sich etwas zu entspannen, aber bei Holiday konnte Kylie das nicht feststellen. Und als Kylie genau hinhörte, enttarnte Holidays Herzschlag das Gesagte als Lüge.
Fuck! Fuck! Fuck! Kylie versuchte, sich zu konzentrieren. Sie musste sich da selbst rausholen, denn … na ja, sie hatte sich das auch selbst eingebrockt.
»Ich kann das«, redete sie sich selbst zu, auch wenn sie so wenig daran glaubte wie an den Weihnachtsmann im Einkaufszentrum.
Sie versuchte es mit Logik. Wenn sie sich das gewünscht hatte und es war in Erfüllung gegangen, vielleicht konnte sie es auch einfach wieder rückgängig wünschen. Sie fing an, sich zurückzuwünschen – oder besser, sie flehte danach. Sie schloss die Augen. Doch dann fiel ihr ein, dass sie, falls es klappen sollte, einfach wieder dort auftauchen würde, wo sie gestanden hatte. Und das würde ihre Mutter wohl kaum verkraften. »Geh irgendwo anders hin«, murmelte sie vor sich hin. Sie rannte zu den Toiletten am anderen Ende des Speisesaals rüber.
Sie hörte Stimmen, als sie durch die Tür stürmte, schenkte ihnen aber keine Beachtung, sondern
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