Verfolgt im Mondlicht
steuerte gleich auf die erste leere Kabine zu. Sie atmete tief ein und aus und kniff ganz fest die Augen zu. »Ich wünschte … ich wünschte, ich wäre sichtbar.« Sie öffnete die Augen und schaute schnell auf ihre Füße. Oder dahin, wo ihre Füße sein sollten, es aber nicht waren.
Sie schluckte schwer. Panik stieg in ihr auf. Was, wenn sie so bleiben musste? Was, wenn … Nein! Sie war schon in schlimmeren Situationen gewesen. Verdammt, sie war schon gekidnappt und an einen Stuhl gekettet worden – und hatte es überlebt. Sie war von einer Klippe geworfen worden und war trotzdem noch hier. Ihr fiel wieder ein, dass sie vielleicht wieder eine Hexe war. Sie wackelte mit ihrem kleinen Finger. »Mach mich wieder sichtbar. Mach mich wieder sichtbar.«
Nichts passierte.
»Was zur Hölle hab ich getan?« Sie hatte einen Kloß im Hals und konnte die Tränen jetzt nicht mehr zurückhalten. »Hilf mir doch bitte jemand.« Sie lehnte sich an die Tür der Kabine. »Daniel?«, flüsterte sie, auch wenn sie wusste, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass er vorbeischauen würde. »Kannst du mir bitte helfen?«
»Denk dich hinein«, antwortete eine Stimme.
Ihr stockte der Atem. Das war nicht irgendeine Stimme, das war Daniel. Sie richtete sich auf und sah seine blasse Erscheinung neben der Toilette. »Denk es. Denk so fest du kannst daran.«
»Wie denn?«
»Denk es. In deinem Herzen. Du hast die Kraft in dir …« Er verblasste.
»Nein«, flehte sie, aber er war schon weg.
Kylie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und tat, was er gesagt hatte. Sie konzentrierte sich darauf, sichtbar zu sein. Körperlich anwesend.
Sie schloss die Augen, auch wenn es ihr schwerfiel, daran zu glauben, aber sie war verzweifelt genug. Dann öffnete sie die Augen und wagte einen Blick nach unten. Ihre Füße hatten noch nie so schön ausgesehen.
»Danke! Danke!«
»Wofür?«, fragte jemand in der Kabine neben ihr, aber Kylie hörte nicht hin. Sie freute sich zu sehr darüber, nicht mehr unsichtbar zu sein.
Sie verließ die Kabine und blieb wie angewurzelt stehen, als sie Steve und Perry vor den Urinalen stehen sah. Das Geräusch von Urin, der auf Keramik traf, war wirklich kein schönes Geräusch.
Ihr Gesicht glühte, und sie war sicher, dass sie knallrot war.
Hinter ihr öffnete sich eine Kabinentür. »Was machst du in der Männertoilette?«, fragte jemand.
Steve, immer noch mit offener Hose, fuhr erschrocken herum. Ganz herum. Kylie hielt sich schnell die Augen zu.
»Ich hab nichts gesehen, ich schwöre.« Okay, hatte sie doch, was ihr Gesicht noch dunkler anlaufen ließ.
»Was zur Hölle?«, knurrte Steve. Neben Perrys Lachen hörte sie noch, wie Reißverschlüsse zugezogen wurden.
»Es tut mir wirklich leid.« Mit den Händen vor den Augen wollte sie zur Tür gehen, lief aber gegen eine Wand.
Perry lachte wieder. »Unsere Freunde sind alle verstaut, du kannst also ruhig die Augen wieder aufmachen.«
Das tat sie auch, weigerte sich aber, die Jungs anzusehen. Ihre Freunde! Sie rannte aus der Tür und hoffte, sie hätte noch eine Minute, um ihre Gedanken zu sortieren, ehe …
Zu spät.
Holiday hatte sie schon entdeckt. Und ihre Mom und John ebenfalls. Sie kamen auf sie zu geeilt.
Holiday sah sie mit großen Augen an, in denen tausend Fragen blitzten. Fragen, auf die Kylie selbst keine Antworten hatte.
»Bist du etwa gerade aus der Herrentoilette gekommen?«, fragte ihre Mutter leicht pikiert, aber hauptsächlich besorgt. John trat neben ihre Mom und legte ihr den Arm um die Taille. Etwas an der Art und Weise wie er sie berührte, veranlasste Kylie, sich die beiden nackt vorzustellen. O mein Gott! Sie hatten Sex. Sie wusste es.
Dann sah sie es. In ihrem Kopf. Und es war nicht schön!
»Was ist denn los?«, fragte ihre Mutter. »Du bist ja knallrot im Gesicht.«
»Ja«, piepste Kylie. Sie verdrängte den schlimmen Gedanken so gut sie konnte. Am liebsten wäre sie wieder verschwunden.
»Du warst doch genau hier«, sagte ihre Mutter, mit einem tadelnden Tonfall. »Ich hab kurz weggeschaut und dann warst du plötzlich weg.«
Kylie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, sich zu entschuldigen oder vielleicht etwas Allgemeines zu sagen, wie schönes Wetter heute . Doch das, was dann aus ihrem Mund kam, war etwas ganz anderes.
»Du hast nicht kurz weggeschaut. Du hast mit diesem Idioten rumgeknutscht.« Sie atmete ein und schloss den Mund. Aber gegen ihren Willen öffnete sie ihn gleich wieder. »Du schläfst mit
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