Verfolgt im Mondlicht
einfach alles gehext hat.«
»Ich hab den Nebel nicht gehext«, verteidigte sich Kylie. Stellte sich Clara wirklich schon gegen sie?
»Also, woher wusstest du, wie du mich finden würdest? Und sag nicht wieder, du hast mich gehört. Ich war viel zu weit weg, als dass du meine Schreie hättest hören können.«
Der Vorwurf traf Kylie, doch sie versuchte, es nicht zu persönlich zu nehmen. Clara hatte gute Gründe, misstrauisch zu sein. Hexen waren in der Regel nicht in der Lage, schnell wie der Wind zu laufen oder ein Supergehör zu haben. Was Kylie nur darin bestätigte, dass sie keine Hexe war.
Aber wenn ihr Großvater und ihre Tante sich in Nebel verwandeln konnten, bedeutete das vielleicht, dass die beiden zu den Hexen gehörten? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich Gestaltwandler in Nebel verwandeln konnten. Oder vielleicht doch? Kylie war verwirrt.
»Kylie ist keine normale Hexe«, schaltete sich Burnett ein.
Lucas’ Augen wanderten von Clara zu Burnett und zurück zu Kylie. Der entsetzte, misstrauische Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand, sein Blick wurde weich.
Er sah Kylie weiter an, redete aber mit seiner Halbschwester. »Wenn Kylie sagt, dass sie es nicht war, dann war sie es auch nicht.«
»Du glaubst ihr mehr als mir? Jetzt verstehe ich langsam, wieso sich unser Vater Sorgen macht.« Claras Tonfall war vorwurfsvoll. »Wie kannst du dich selbst einen Anführer nennen, wenn du dich vor eine Hexe und gegen deine eigene Art und sogar gegen dein eigenes Blut stellst?«
Lucas klang angespannt: »Ich glaube ihr nicht wegen dem, was sie gesagt hat. Ich kenne die Tatsachen. Kylie hat ein Supergehör. Sie konnte dein Schreien kilometerweit hören.«
»Hexen haben aber kein …«
»Wie Burnett schon gesagt hat, ich bin keine normale Hexe.« Kylie starrte Lucas an. Wieso hatte er nicht einfach sagen können, dass er ihr glaubte? War die Loyalität eines Werwolfs zu seinem Rudel so streng, dass sein Glaube an Kylie nicht zählte?
Sie spürte Claras bohrenden Blick, fuhr aber unbeirrt fort: »Anscheinend hat mein Gehirn die schlechte Angewohnheit, dauernd andere Muster zu zeigen.«
»Dann ist da aber echt was kaputt mit deinem Gehirn.« Claras Tonfall machte ihren Kommentar noch beleidigender.
Kylie wartete darauf, dass Lucas seine Schwester zurechtwies. Als sich ihre Blicke trafen, sah Kylie in seinen Augen zwar eine Entschuldigung aufblitzen, aber er sagte kein Wort.
Und auf einmal wurde ihr bewusst, wieso. Weil er sie damit vor Clara gestellt hätte. Weil Kylie kein Werwolf war, bedeutete sie Lucas nichts. Oder zumindest nicht so viel wie jemand seiner Art. Die Erkenntnis traf Kylie mitten ins Herz. Sie versuchte sich einzureden, dass er sie nicht verteidigen musste, dass sie auch so wusste, dass er etwas für sie empfand. Also, was bedeutete das schon, dass er jetzt schwieg?
»Meinem Gehirn geht es gut, danke.« Kylie hielt Claras Blick stand und schielte nur kurz zu Lucas. Ja, ihr Gehirn war okay, im Moment machte sie sich mehr Sorgen um ihr Herz. Denn es bedeutete eben doch etwas.
Ziemlich viel sogar.
»Warum hattest du keine Angst vor dem, was du gesehen hast?«, fragte Clara.
Kylie stutzte kurz. Hatte Clara doch mehr gesehen, als Kylie dachte? »Wer sagt denn, dass ich keine Angst hatte?«
»Kylie ist ein Protector«, erklärte Burnett.
Claras Augen wurden groß. »Krass! Echt?«
Kylie war das Starren des Mädchens unangenehm, und sie wollte am liebsten wegrennen. »Ich muss weg.« Sie wandte sich zum Gehen.
Burnett packte sie sanft am Arm und auch, wenn es ihr komisch erschien, spürte sie Mitgefühl in seiner kalten Berührung. Er beugte sich zu ihr runter und flüsterte: »Nicht, solange du keinen Schatten hast.«
»Das mach ich.« Holiday stand in der Eingangstür. »Ich war kurz spazieren, um Lucas und seiner Schwester ein paar Minuten allein zu geben.« Ihre grünen Augen fielen auf Kylie, und sie schien zu spüren, was gerade in ihr los war.
Burnett sah Holiday an. »Bleibt in der Nähe. Es könnte immer noch gefährlich sein.«
»Was ist denn überhaupt passiert?«, fragte Holiday beunruhigt.
»Wir reden später darüber«, erwiderte Burnett. »Ich muss erst mal mit Clara reden, so lange die Erinnerungen noch frisch sind.«
Als Kylie die Hütte verließ, war sie einerseits furchtbar enttäuscht von Lucas und andererseits beunruhigt wegen Claras Befragung. Doch ein Blick auf Holiday genügte, und sie hatte wieder ihre Vision vor Augen. Verdammt, Clara hatte recht.
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