Verfuehr mich
an Bord des Schiffes ab.
»Die Gläser könnten noch mal nützlich sein, wenn ich Wasser aus dem Boot schöpfen muss«, sagte sie fröhlich. Jaz und Bliss zogen die Rollen aus dem Wasser, während Rocco und Vi an Bord kletterten. Rocco ließ dann den Motor an. Er stotterte, gab eine pfeilförmige Qualmwolke von sich und fing röhrend an zu laufen. Zusätzlich hisste Rocco auch noch das Segel, das in der sanften Abendbrise flatterte.
Die Zuschauer jubelten noch einmal, gingen dann aber auseinander.
Als Rocco das Boot drehte, sah Bliss das Emblem in der Mitte des Segels: ein rennender goldener Löwe mit Silbermähne und naivem Grinsen, der Rocco sehr ähnlich sah.
»Wie kommen die beiden eigentlich wieder zurück?« Die Frage drängte sich förmlich auf.
»Wir werden jedenfalls nicht hier auf sie warten und uns von den Moskitos auffressen lassen. Es gibt jede Menge Orte zum Anlegen. Oder sie könnten auch jederzeit am Strand zum Summer Club zurücklaufen. Die Leute scheinen sich sehr für das Boot zu interessieren, und es wird Rocco einen Riesenspaß machen, seine verrückte Theorie zu erklären.«
Bliss legte eine Hand über die Augen und sah in den Abendhimmel – ein tiefes Blau, das in ein blasses Rosa überging und von dem ruhigen Wasser der Bucht gespiegelt wurde.
»Da segeln sie jetzt in den Sonnenuntergang. Die beiden sehen echt glücklich aus.«
»Ja, allerdings«, bestätigte Jaz, legte den Arm um ihre Schultern und drückte sie voller Wärme. »Das könnten wir in dreißig Jahren sein.«
Bliss war nicht sicher, ob sie ihn verstanden hatte. »Äh? Was hast du gerade gesagt?«
»Nichts.«
»Jetzt rudere nicht zurück.«
Er beugte sich herunter, um ihr einen Kuss zu geben. »Sei einfach nur da. Das reicht mir fürs Erste.«
Später brachten sie noch die Rollen zurück zu Doug und Ted. Die beiden waren nicht da, sodass Bliss und Jaz nur den Schweden zuwinken konnten.
Als das Pärchen den Pfad zurückschlenderte, der nach Breezy Bay führte, war Bliss’ Herz von tiefster Zufriedenheit erfüllt. Jaz hatte schon recht. Es reichte erst mal, lange Sommertage mit ihm zu verbringen und einfach nur da zu sein. Eigentlich war es sogar mehr als genug – es war alles, was sie jemals wollte.
Zwei Tage später waren sie wieder zurück in New York und bei der Arbeit. Jaz war völlig von der Tabelle auf dem Monitor vor ihm in Anspruch genommen. Ständig schaute er nach links und rechts auf weitere Bildschirme und fügte dann Zahlen hinzu.
»Was für ein Spaß«, grummelte er, »ich fange sicher bald an zu schielen. Aber irgendwie muss man die Erbsenzähler ja zufriedenstellen.«
Bliss konnte ihn von ihrem Platz aus kaum sehen. Sie saß in einem holzgetäfelten Konferenzraum, der genau wie der in Leonardville aussah. Auf einem sehr langen Tisch waren Entwürfe für Anzeigen und aufgestapelte Rechercheberichte ausgebreitet.
Auf einer Laptop-Tastatur herumzuhämmern entsprach nicht gerade Bliss’ Vorstellung von einem netten Abend. Aber die große Präsentation war für übermorgen angesetzt und musste unbedingt noch an diesem Abend abgeschlossen werden. Auch wenn sie es gern anders gehabt hätte, verspürte Bliss nicht das kleinste bisschen Vorfreude. Nicht mal einen Hauch.
Sie rief das Testvideo eines MyPie -Werbefilms auf und betrachtete das Kind, das darin mitspielte. Sommersprossiges Gesicht, Zahnlücke, gestreiftes T-Shirt und eine Baseballkappe. Niedlicher Junge. Zu schade nur, dass sein Blick auf das MyPie -Teilchen ausgesprochen angewidert war. »Nein, nein, nein!«, murmelte sie vor sich hin. »Du sollst so aussehen, als ob du es absolut lecker findest. Als würdest du dein Skateboard verkaufen, um mehr davon haben zu können.«
Plötzlich trat Jaz von hinten an sie heran. »Wer ist denn der Junge?«
»Keine Ahnung. Unser Artdirector hat das gedreht. Es wurde in einem der Büros aufgenommen, deshalb ist das Licht ein bisschen ungünstig.«
»Wär mir gar nicht aufgefallen.«
»Na ja, das Licht spielt bei einer Probeaufnahme auch nicht so eine große Rolle. Man ist ja eher darauf aus, dass die Persönlichkeit des Darstellers rüberkommt.«
»Die kommt schon durch. Das heißt in seinem Fall leider, dass er der Falsche ist. Was wiederum die Frage aufwirft, wieso der Artdirector ausgerechnet diesen Bengel ausgesucht hat.«
Bliss hob die Hände zu einer Wer-weiß-das-schon? -Geste. »Wahrscheinlich weil jeder auch nur halbwegs talentierte Kinderdarsteller den Sommer über nicht in New York ist
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