Verfuehr mich
Die winzigen Eisstückchen kribbelten auf Bliss’ Beinen, aber das tat ihrer Laune keinen Abbruch. Sie saßen alle im selben Boot, nur dass die beiden von einem relativ trockenem und sicherem Platz aus zusehen konnten, wie Fußgänger nach einem Unterstand suchten, Hand in Hand mit hilfreichen, aber unbekannten Menschen über die Rinnsteine wateten, einen bläulichen Blitz verfluchten und dann anfingen zu lachen.
Ein schönes, heftiges Gewitter hatte eine reinigende, belebende Kraft, die fast jeder trotz der durchweichten Kleidung und der patschnassen Schuhe genoss. Bliss fiel auf, dass Jaz den Anblick der durchnässten Frauen in kurzen Sommerkleidchen offensichtlich gut gefiel. Sie tätschelte ihm die Wange.
»Dir steht ja der Mund offen.«
»Wem, mir?« Doch er wandte seine Aufmerksamkeit schnell wieder Bliss zu und gab ihr einen innigen, nach Himbeer-Wodka schmeckenden Kuss, der so lange dauerte, dass die Gäste im Restaurant irgendwann zu applaudieren begannen. Dann kreischten plötzlich beide laut auf, als die Markise über ihnen den Geist aufgab und sich das dort angesammelte Regenwasser und der Hagel über die Tische ergossen. Niemand konnte etwas dagegen unternehmen und es gab keine Fluchtmöglichkeit. Jaz stand keuchend auf und wischte sich das Wasser aus den Augen. Bliss tat es ihm gleich und strich Hagelkörner von ihrem Schoß.
»Du siehst absolut hinreißend aus.« Durchnässt, aber elegant bot er ihr seinen Arm an. Bliss wartete einen Moment, bis sie sich unterhakte und wischte auch Hagelkörner von ihren Brüsten.
»Jetzt weiß ich, warum es heißt: ›Hagelkörner sind a girl’s best friends …‹ – also Hagelkörner die besten Freunde eines Mädchens sind.«
Sie kicherte, nahm ihre Handtasche von seiner Schulter und hängte sie sich um. »Ach, so ein Quatsch.«
»Liege ich da etwa falsch?«
»Ja. Aber das Lied geht anders, Jaz.«
Er schnipste ihr ein letztes, glitzerndes Hagelkorn von der Haut. »Von mir aus. Ich kenne jedenfalls niemanden, der Diamanten mehr verdient hätte als du.«
Sie schaute ihm in die grünen Augen und verstand nicht recht, was sie dort sah oder wo die Gefühle herkamen, die in seinem Blick lagen.
Am besten, man schob es einfach auf den Sommer in New York. Da schnappte jeder ein bisschen über. Und Jaz bildete da keine Ausnahme.
8
Die Gewitterfront blieb den ganzen Rest der Woche über New York hängen und verursachte Stromausfälle und jede Menge anderen Ärger. Auf dem Nachhauseweg von Lentone Fitch & Garibaldi betete Bliss insgeheim, dass die Fahrstühle in ihrem Wohnhaus wieder funktionierten. Sie öffnete die Eingangstür mit ihren Schultern. Dabei schnitten die Plastiktüten, die sie in der Hand hielt, unangenehm in ihre Finger. Bliss stand da und sah zu, wie die Etagennummern in absteigender Reihenfolge aufleuchteten, bis die Fahrstuhltüren sich endlich öffneten. Sie drückte auf den Knopf für ihre Etage und betete erneut – diesmal, dass die Klimaanlage während ihrer Abwesenheit nicht den Geist aufgegeben hatte. Es waren diese Gebete an kleine Götter, die einem Mädchen durch so eine Hitzewelle hindurchhalfen.
Der Gott des unablässigen Regens stand als Nächstes auf ihrer Liste. Seit dem Abend in dem Restaurant hatte es kaum aufgehört zu regnen. Selbst in ihrer Wohnung konnte sie die bedrohlichen Wolken spüren. Alles war grau in grau. Bliss schaute durch die Glastür auf den Balkon und begrüßte die einzelne Taube auf dem Geländer mit einem stummen Kopfnicken. Wir beide , dachte sie. Im Grunde allein und zum Leben nur ein paar Brotkrumen. Es war zutiefst befriedigend, sich einen Moment dem völligen Selbstmitleid hinzugeben. Jaz hatte dringend nach Leonardville zurückfahren müssen, und so waren ihre Pine-Island-Pläne vorerst auf Eis gelegt.
Viel war nicht mehr vom Sommer übrig. Auf dem Weg zur Wohnung hatte sie vor dem Schaufenster eines Schuh-Discounters haltgemacht. Deprimierend, denn der Saisonwechsel stand kurz bevor und die Preise für Schuhe waren bereits heruntergesetzt worden. Auf einem Tisch im Inneren des Ladens lag ein Haufen pastellfarbener Ballerinas und perlenverzierter Sandalen. Die Herbstkollektion stand schon im Schaufenster: eine Mischung aus Braun und Schwarz in jeder Form von seltsamen Schuhen mit unglaublich hohen Keilabsätzen bis hin zu ganz konservativen Pumps, die man für ein Bewerbungsgespräch anziehen konnte.
Ihre Gedanken waren zu ihren ersten Tagen in New York und den Aushilfsjobs zurückgewandert,
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