Verfuehr mich
die mit Bojen markierte Fahrrinne des Fährbetriebs verlief. Der Sand auf dem Grund musste erst wieder ausgebaggert werden, sodass die Fähre auch bei Ebbe wieder verkehren konnte.
Bliss war deshalb überrascht, eines der Schiffe zu entdecken. Es war die älteste und kleinste der Fähren, die noch in Betrieb war. Jaz liebte die alten Boote auf sentimentale Weise und war immer wieder begeistert von den reinen Holzkonstruktionen und den schlanken Linien. Als er und Bliss einmal am Fähranleger gewartet hatten, war ihm eingefallen, dass genau dieses Schiff während der Prohibition zum Rumschmuggeln gedient hatte.
Auf dem Oberdeck war es nicht besonders voll, wie es das am Ende eines Tages normalerweise gewesen wäre. Die meisten Leute bevorzugten sowieso die neueren und weitaus geräumigeren Fähren. Bei einem alten Schiff wie diesem war es durchaus umständlich, Kinder, Gepäck und Hunde aufs Boot und wieder herunterzubekommen – und da das Wochenende bevorstand, reisten eine Menge Leute mit allen dreien.
Rocco brachte Neptuns Torheit längsseits und stellte den Motor bereits ab, als die Fähre noch mitten auf dem Kanal war. Dabei lag seine Hand die ganze Zeit auf dem Ruder – ein Kapitän durch und durch.
»Du bist ja geradezu süchtig nach Aufmerksamkeit«, sagte Vi mit fröhlicher Stimme. Auf dem Oberdeck des alten Schiffes hatten sich einige Passagiere versammelt, um ihnen von der Reling aus zuzuwinken und Komplimente über das verrückt aussehende Boot zuzurufen.
Auf seine eigene, merkwürdige Art war es tipptopp, dachte Bliss. Und es funktionierte ja auch tatsächlich. Jaz hatte erzählt, dass Rocco sich mit Booten gut auskannte – sonst hätte er Bliss sicher geraten, das Gefährt des Künstlers nicht zu betreten.
Apropos Jaz … war er das etwa da auf der Fähre? Ein großer gut gebauter Kerl mit schwarzem Haar war gerade an die Reling getreten, und sein T-Shirt flatterte im Wind. Natürlich – das war Jaz! Bliss winkte ihm wie wild zu und sprang auf und ab, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Jaz! Jaz!«, brüllte sie.
»Du bringst noch das Boot zum Kentern«, meinte Vi, lächelte aber nachsichtig und winkte ebenfalls.
Als Jaz Bliss endlich entdeckte, warf er ihr einen Luftkuss zu. Unter dem Maschinendröhnen der Fähre konnte sie zwar nicht verstehen, was er ihr zurief, aber es war wahrscheinlich so etwas wie bis gleich . Zu schade, dass sie nicht von den Lippen lesen konnte. Einen Moment später, nachdem die Fähre vorbeigefahren war, traf die Bugwelle auf die Längsseite des Wikingerbootes und brachte es mächtig ins Schwanken.
Vi fluchte und klammerte sich an den PVC-Rohren der Kajüte fest. Als Rocco stolperte, hielt sie ihm eine Hand hin, bis er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Nach einer Weile hatte das Wasser sich wieder beruhigt und Bliss atmete erleichtert auf, ohne dass sie zuvor überhaupt gemerkt hatte, dass sie die Luft angehalten hatte.
»Jetzt ziehen wir erst mal alle eine Rettungsweste über«, erklärte Vi bestimmt.
»Lasst uns doch einfach aufs offene Wasser rausfahren«, erwiderte Rocco.
Sie warf ihm einen herrischen Blick zu, suchte dann im Wäschekorb nach der größten Weste und reichte sie ihm. »Anziehen. Und mach bloß kein Theater!«
Rocco zwinkerte Bliss zu. »Ist sie nicht lieb?« Er nahm Vi die Rettungsweste ab. »Ich weiß, dass du dir Gedanken machst, Vi. Und du hast ja auch praktisch immer recht damit. Deshalb liebe ich dich auch so.«
Der offenstehende Mund und der geradezu erschrockene Blick ihrer Chefin verriet Bliss, dass Rocco diesen Satz bis zu diesem Moment noch nicht ausgesprochen hatte. Noch bevor die überraschte Frau protestieren oder widersprechen konnte, hatte Rocco seinen Mund auch schon auf den ihren gepresst und verschloss ihn mit einem leidenschaftlichen Kuss.
Bliss wandte sich ab und wartete, bis die beiden fertig waren. Ihre Eltern hatten sich nicht so aufgeführt. Andererseits waren ihre Eltern allerdings auch ungefähr eine Million Jahre verheiratet. Rocco und Vi schienen gerade erst herauszufinden, dass die Liebe in jedem Alter etwas Wunderschönes sein konnte. Bliss äugte über ihre Schulter. Vi zog gerade ihr T-Shirt herunter, und Rocco startete wieder den Außenbordmotor.
Der Rest des langen Wochenendes verging wie ein Rausch von Sonne, Sand und … Sex natürlich. Jede Menge Sex. Jaz und Bliss schlossen gleich zu Beginn einen Pakt, die reale Welt auf Distanz zu halten und weder Radio zu hören noch Fernsehen zu schauen.
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