Verführer der Nacht
Augen und erschauerte. »Bitte«, flüsterte sie und wandte den Blick von Paul ab. »Bald.«
»Verräterin! Hure!« Paul ging mit erhobenen Fäusten auf sie los, das Gesicht zu einer dämonischen Fratze verzerrt.
Julio packte ihn am Arm und zog ihn aus Colbys Reichweite. »Sollen wir ihn ins Haus bringen, Senhorita ?«
Paul wehrte sich gegen seine Onkel, schnappte mit den Zähnen nach ihnen und knurrte. Dann gab er plötzlich nach, schaute sich um und blinzelte. »Colby?« Er klang jung und verwirrt. »Was ist mit mir los?«
»Du bist krank, Liebling.« Sie versuchte, ihn zu trösten, aber Tränen brannten in ihren Augen und schnürten ihr die Kehle zu. Sie konnte Rafaels Bewusstsein nicht mehr erreichen, und schon jetzt empfand sie den Verlust so schmerzlich, als hätte ihr jemand das Herz aus der Brust gerissen. Sie konnte kaum noch atmen, geschweige denn denken. Am liebsten hätte sie geschrien, mit den Händen die Erde aufgewühlt und sich bis zu der Stelle durchgegraben, wo sein Körper ruhen würde. Die Brüder Chevez schauten sie mitleidig an. »Schaffen wir ihn ins Haus«, sagte sie müde.
»Juan kümmert sich um die Herde«, erklärte Julio. »Ich passe auf Sie und Paul und Ginny auf.«
Colby stolperte hinter ihm her. Sie konnte in der Dunkelheit besser als je zuvor sehen, doch sie war so aus der Bahn geworfen, dass sie sich blind und taub fühlte. »Passiert so etwas öfter?« Was waren das für furchtbare Wesen, und wie schlimm wurde er verletzt, Nicolas ? Er ist so schwer angeschlagen und hat schrecklich viel Blut verloren. Sie hatte Rafael nicht geküsst und nicht versucht, ihn in den Armen zu halten. Was, wenn Rafaels Bruder mehr Monster als Mann war?
Ich bin mehr Monster als Mann, bestätigte Nicolas. Seine Stimme klang leise und fast geistesabwesend. Sie konnte einen Sprechgesang hören, der sich ständig wiederholte, uralte Worte in einem tröstenden Rhythmus der Macht. Ich werde ihn heilen, ihm noch mehr Blut geben und ihn dann der Erde anvertrauen.
Julio sah sich nach ihr um, während er Paul zum Haus schleppte. »Brauchen Sie Hilfe, Colby?« Als sie den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Ja, ich habe schon viele Kämpfe zwischen Vampiren und Jägern mit angesehen. Dieser Vampir ist nicht wie die anderen. Er ist gerissener und hat sehr viel Macht.«
Colby schlang beide Arme um sich, als sie den schmalen Weg zum Ranchgebäude zurückging. Rafael war diesen Weg mit ihr gegangen, hatte ihre Hand gehalten und ihr das Gefühl gegeben, die schönste und begehrenswerteste Frau der Welt zu sein. Wenn er in ihrer Nähe war, schien nichts anderes mehr zu zählen. Sie versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, was Nicolas über die Umwandlung gesagt hatte, doch in ihrem Kopf ging alles drunter und drüber.
»Werden sie oft verletzt?«, fragte sie Julio schüttelte den Kopf. »Vampire sind sonst ganz anders. Die Jäger sind sehr mächtig und haben viel Erfahrung. Rafael ist ein großer Kämpfer, und zusammen mit seinem Bruder Nicolas oder einem anderen seiner Brüder wird er kaum jemals verwundet. Aber dieser hier« – er schüttelte den Kopf-»dieser hier gehört zu denen, die sie ›Meistervampire‹ nennen, einer vom uralten Stamm, der seit langer Zeit seiner gerechten Strafe entgeht. Zacarias, der Älteste der Brüder De La Cruz, glaubt, dass ein Meistervampir einer vom uralten Stamm der Karpatianer ist, einer, der schon lange auf der Welt und sehr erfahren im Kampf ist, bevor er schließlich dem Ruf der Dunkelheit verfällt. Ein Meister tritt nicht zum Kampf an, sondern benutzt menschliche Marionetten, die seine Befehle ausführen. Er kann geringere Vampire zu sich rufen und sie wie Bauern auf einem Schachbrett benutzen. Und er kann andere Spezies zum verkörperten Bösen mutieren lassen. Ein Beispiel für sein Werk haben Sie gesehen.«
»Sie sind sehr nervös. Was verschweigen Sie mir?«
Julio schaute sie aus dunklen, sorgenvollen Augen an. »Nicolas kann das verseuchte Blut entfernen und die Schmerzen lindern, aber solange der Vampir nicht völlig zerstört ist, wird Paul mit ihm verbunden sein. Er kann immer noch versuchen, den Jungen zu benutzen. Nicolas wird der Einzige sein, der zwischen Paul und dem steht, was der Vampir von ihm will. Nicolas ist vom uralten Stamm und sehr mächtig, aber er ist dem Ende seiner Zeit bedenklich nahe. Außerdem muss er tagsüber ruhen. Was Sie von ihm verlangen, ist gefährlich für ihn. Wenn er es nicht tut, wird Paul irgendwann sterben, und Sie werden
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