Verführer der Nacht
gemacht zu haben, um ihn aufzufangen, aber sie war unter ihm, um seinen Sturz zu dämpfen. Zu ihrer Überraschung schlug sie unter seinem Gewicht nicht wie erwartet hart auf dem Boden auf. Nicolas ließ Rafael sachte nach unten gleiten und drehte ihn um, kurz bevor sein Körper auf ihren traf, sodass sein Kopf in ihrem Schoß lag. Sie erschauerte vor Angst, als Nicolas über ihr aufragte, auch wenn sie versuchte, sich zusammenzureißen.
Juan und Julio bauten sich links und rechts von Paul auf. »Don Nicolas, zwingen Sie uns bitte nicht, eine solche Wahl zu treffen. Dieser Junge ist família. Er steht genauso wie Colby unter Don Rafaels Schutz. Dies sollte auch Ihnen heilig sein.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Die Nacht selbst schien den Atem anzuhalten. Insekten verstummten, und das Vieh hielt unvermittelt in seiner wilden Hetzjagd inne.
»Das Gift kann möglicherweise aus seinem Körper entfernt werden, doch dafür werde ich sein Blut nehmen müssen.« Nicolas ließ es wie eine Drohung klingen und starrte Colby unverwandt an.
Sie vertraute ihm nicht und wünschte, Rafael wäre wach und könnte ihr sagen, was sie tun sollte. »Rafael hat mir versichert, dass er mich nicht belügen kann – kannst du es ?«
»Sag Ja oder Nein«, gab Nicolas schroff zurück. »Er wird unter der Säure des Vampirbluts leiden, und er wird sich nach dem Geschmack von Menschenfleisch sehnen. Er wird innerlich verrotten, und der Vampir wird ihn benutzen, um uns alle zu vernichten.«
Paul brach in Tränen aus und presste seine Hände auf seinen Magen. »Es brennt, Colby. Und in meinem Kopf summt es so laut, dass ich fast verrückt werde. Will er damit sagen, dass ich zum Kannibalen werde?«
»Dann tu, was du zu tun hast, Nicolas, doch wenn du ihm Schaden zufügst, bringe ich dich zur Strecke und ramme dir einen Holzpfahl durch dein eiskaltes Herz«, warnte Colby ihn.
Der Karpatianer ignorierte die Drohung und kniete sich neben Rafael. Fassungslos beobachtete sie, wie er mit den Zähnen sein Handgelenk aufritzte und die offene Wunde an Rafaels Mund hielt. Er sah sie aus leeren, schwarzen Augen an, als er seinen Bruder zwang, das uralte Blut zu trinken. »Er hätte dich sofort wegbringen sollen, statt deinen Launen nachzugeben.« Seine Stimme traf sie wie ein Peitschenschlag.
Colby hielt Rafaels Kopf in ihrem Schoß, die Finger in seinem langen, seidigen Haar vergraben. Ihre Jeans war mit seinem Blut beschmiert. »Ich mag dich auch nicht besonders«, fuhr sie Nicolas an. »Worin unterscheidest du dich von diesem Monster? Mein Bruder ist unschuldig. Er hat diese furchtbare Kreatur nicht darum gebeten, ihn zu entführen und mit seinem Gift zu infizieren. Ich habe nicht darum gebeten, die Gefährtin deines Bruders zu sein. Ich habe hier mein eigenes Leben, meine Verpflichtungen. Warum sollten eure Rechte mehr wiegen als meine?«
Nicolas beugte sich dicht zu ihr vor. Seine Augen waren flach und hart wie Diamanten. »Weil du nicht zu einem Monster wirst, das durch und durch schlecht ist und nur dafür lebt, anderen Schmerzen und den Tod zu bringen, wenn du deinen Gefährten des Lebens nicht findest. Ich schon. Ich bin kein Mensch. Rafael ebenfalls nicht. Seit Jahrhunderten kämpfen wir gegen die Dunkelheit. Du könntest seine Schmerzen so leicht lindern. Du könntest dafür sorgen, dass er nie den Augenblick erlebt, in dem er der Dunkelheit erliegt, aber du bist zu starrköpfig und zu egoistisch, um ihm zu geben, was er braucht. Und so dumm, das Leben deiner Geschwister, Nachbarn und anderer Leute, die du nicht einmal kennst, aufs Spiel zu setzen. Schlimmer noch, du setzt die Seele meines Bruders, meine Seele und die Seelen meiner família aufs Spiel. Letzten Endes wird er dich doch bekommen. Du gehst also völlig vergebens das Risiko ein. Wenn du mein wärst, würde ich dich einfach nehmen und die Sache hinter mich bringen.« Seine Zähne knirschten bedrohlich, als wäre er drauf und dran, ihr hier und jetzt die Kehle durchzubeißen.
Colbys Herz schlug noch lauter in ihrer Brust, aber sie wich seinem Blick nicht aus. Sie war bemüht, ihm gegenüber offen zu sein und zu verstehen, was er ihr sagte. Colby wollte begreifen, was all das zu bedeuten hatte, als sie sah, wie er seinem schwer verletzten Bruder sein eigenes Blut gab. Und der Gedanke, Rafael könnte zu einem so grauenhaften Monster werden wie das Geschöpf, das sie angegriffen hatte, war unvorstellbar. »Ich kann deinen Standpunkt verstehen. Verstehst du meinen? Ich bin
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