Verführer der Nacht
dass du ein bisschen reisen darfst, wenn du zwölf bist. Bis dahin reicht das hiesige Rodeo.«
»Es gibt ein elfjähriges Mädchen, das am Barrel Racing teilnimmt«, protestierte Ginny. »Sie verdient damit genug Geld fürs College.« Hinterlistig zog sie eine Zeitschrift hervor und fing an, den Artikel vorzulesen, um ihr Argument zu unterstreichen.
»Lass gut sein, Küken, ich bin müde und in Eile. Wie es aussieht, werde ich mich bei meiner Verabredung mit Mrs. Everett ziemlich verspäten. Was meinst du? Sollen wir die Tochter als Schülerin aufnehmen?«
»Ich hätte nichts dagegen, wenn sie nett ist«, gestand Ginny. »Es wäre cool, eine Freundin zu haben. Vielleicht könnte ich sie manchmal zu Hause besuchen. Paul hat mir erzählt, dass Mr. Everett eigentlich nur geschäftlich mit der Familie De La Cruz zu tun hat; sie sind nicht eng befreundet oder so. Wenn Mr. De La Cruz Geschäfte mit ihm machen will und ich mit Mr. Everetts Tochter befreundet bin, ist er vielleicht netter zu dir.«
Colby wollte nicht, dass Rafael De La Cruz nett zu ihr war. Sie wollte ihn nicht in ihrer Nähe haben. »Verlass dich nicht drauf, Schätzchen.« Colby grinste verschmitzt. »Ich habe den starken Verdacht, dass die Brüder De La Cruz eher ihre Geschäftsverbindungen zu Mr. Everett sausen lassen, als zu versuchen, nett zu mir zu sein. Sie haben für unabhängige Frauen nichts übrig.« Eigenartig, dass Nicolas ihr so kalt vorkam, der kälteste Mann, dem sie je begegnet war, und Rafael genau das Gegenteil zu sein schien, ein Vulkan brodelnder, gefährlicher Leidenschaften, intensiv und sehr erotisch. Rafael De La Cruz war ein mehr als sinnlicher Mann, und er jagte ihr eine Todesangst ein. Ihn niemals wiederzusehen wäre das Beste, was ihr passieren könnte.
Ginny runzelte streng die Stirn. »Du kannst aber auch nie ernst sein, Colby«, tadelte sie ihre Schwester.
»Das würde ich nicht sagen.« Colby zog ein langärmeliges Baumwollhemd an, um die weißen Narben zu verbergen, die ihre gebräunte Haut entstellten.
»Ist dir aufgefallen, wie gut Rafael aussieht? Ein toller Typ«, erklärte Ginny feierlich. »Sein Bruder auch. Und sie sind stinkreich, Colby. Du lässt dir eine Riesenchance entgehen.«
Die ältere Schwester schnaubte verächtlich und schlüpfte in ihre abgetragenen Stiefel. »Ist dir schon mal aufgefallen, welcher Typ Frau um solche Männer herumschwärmt?« Sie drückte die Schultern zurück, warf die Hüften nach vorn und klapperte mit den Wimpern. »Darling«, schnurrte sie, indem sie Louises Stimme perfekt nachahmte, »du bist ja sooo stark! Jedes Mal, wenn ich dich anschaue, kriege ich Herzflattern.« Colby legte dramatisch eine Hand auf ihr Herz und ließ sich aufs Bett fallen.
Ginny kicherte und gab den Versuch, ihre Schwester zu verkuppeln, auf. »Na gut, na gut«, seufzte sie. »Aber es wäre nicht schlecht, Nichten oder Neffen zum Spielen zu haben. Bis Paul mal in festen Händen ist, bin ich ja schon uralt.«
»Und deshalb soll ich das Opfer sein? Nein, danke, junge Dame.« Colby zog ihre Nase kraus. »Ich bin völlig zufrieden damit, eine alte Jungfer zu sein. Und jetzt raus mit dir, sonst schaffe ich es nie und nimmer rechtzeitig.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Es ist jetzt schon zu spät.«
Ginny wurde ernst und griff nach Colbys Hand. »Ich hätte wirklich gern eine Freundin, Colby. Im Sommer fühle ich mich immer ganz schön einsam. Wir leben so weit von allen anderen entfernt... « Sie brach ab, weil sie sich nicht beklagen wollte. Schließlich wusste sie genau, wie schwer Colby arbeitete.
Colby umarmte sie rasch. »Ich weiß, Liebes. Paul und ich denken vor lauter Arbeit gar nicht daran, dass du hier mit Kochen und Putzen ganz allein bist. Mal sehen, was ich machen kann.«
»Danke!« Ginny umarmte sie liebevoll. »Du siehst heute Abend toll aus. Kommt Joe auch?« Leise Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit.
»Joe? Joe Vargas? Ginny, wehe, du versuchst, mir diesen armen Kerl anzuhängen! Er wäre verloren.« Colby griff lachend nach ihrer Handtasche und lief hinaus zu ihrem Pickup.
Paul stand bereit, um ihr die verbeulte, rostige Tür aufzuhalten. »Fahr vorsichtig, Colby, die Reifen haben überhaupt kein Profil mehr«, ermahnte er sie. »Sie sind blank. Total hin.«
»Wie alles andere auch«, bemerkte Colby, als sie immer wieder vergeblich versuchte, den Motor zu starten. Schließlich sprang er an, und die beiden jubelten. »Unsere gute, alte Kiste hält sich immer noch.«
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