Verführer der Nacht
Bruder. »So etwas solltest du mir gegenüber lieber nicht zugeben. Rafael De La Cruz ist noch schlimmer als sein Bruder, auch wenn ich das nie für möglich gehalten hätte.« Sie berührte ihren Nacken an der Stelle, wo immer noch die Wärme seiner Berührung zu spüren war.
»Ich wünschte, sie würden alle verschwinden«, erklärte Gin-ny unumwunden. Sie schaute Colby ängstlich an. »Können sie mich wirklich mitnehmen, weg von dir, und in ein anderes Land bringen? Ich will das nicht.« Sie klang sehr jung und verängs-tigt.
Colby legte sofort einen Arm um Ginnys Schultern. »Warum fragst du so etwas, Ginny?« Sie blickte Paul mit leicht gerunzelter Stirn an. »Wo hast du das her?«
»Nicht von mir«, verteidigte der Junge sich. »Es war Clinton Daniels. Wir haben ihn im Lebensmittelladen getroffen, und er hat Ginny erzählt, dass die Chevez-Familie uns beide mit nach Brasilien nehmen würde und du nichts dagegen unternehmen könntest. Er hat gesagt, du würdest vor Gericht nie und nimmer einen Streit um das Sorgerecht gewinnen, weil die Familie De La Cruz zu viel politischen Einfluss und Geld hat. Solange die De La Cruz-Brüder die Che-vez' unterstützten, hättest du nicht die leiseste Chance, uns zu behalten.«
Colby zählte innerlich bis zehn und lauschte dabei ihrem heftigen, unregelmäßigen Herzschlag. Einen Moment lang konnte sie kaum atmen oder einen klaren Gedanken fassen. Wenn sie ihre Geschwister verlor, hatte sie nichts mehr. Nichts und niemanden.
Pequena ? Das Wort erklang in ihrem Kopf wie eine leise Frage, wie ein sanfter Trost. Sie konnte es klar und deutlich hören, als wäre Rafael De La Cruz hier neben ihr, sein Mund an ihrem Ohr. Schlimmer noch, sie konnte fühlen, wie seine Finger über ihr Gesicht strichen und ihre Haut und ihr Inneres berührten, bis ihr Körper auf eine sehr sinnliche Art und Weise reagierte.
Es schockierte und erschreckte Colby, wie vertraut und richtig seine Stimme klang ... und sehr intim. Wie ihr Körper darauf ansprach, indem er sich anspannte und erhitzte. Es gelang ihr, Ginny beruhigend anzulächeln, während sie gleichzeitig versuchte, sich mit einer geistigen Barriere vor Rafael zu schützen. »Clinton Daniels hat anscheinend immer Zeit, den neuesten Klatsch in Umlauf zu bringen. Ich finde, der Mann braucht einen Vollzeitjob, damit er beschäftigt ist.« Sie zog Ginny an sich. »Du bist ein rechtmäßiger Staatsbürger dieses Landes, Liebes. Die Gerichte werden dich nicht einfach ir-gendjemandem überlassen, den du nicht einmal kennst. Dazu wird es nie kommen. Daniels wollte dich bloß ärgern. Irgendwann fahren diese Leute nach Brasilien zurück, und alles ist wieder beim Alten.« Sie mussten nach Brasilien zurückkehren, und Rafael musste sie begleiten. Bald. Sofort.
»Genau«, stimmte Paul zu und pikste seine kleine Schwester in die Rippen, »Und das heißt harte Arbeit und noch mehr harte Arbeit. Schuften von früh bis spät. Mitten in der Nacht aufstehen und weiterarbeiten.«
»Tja, wir wünschen uns alle, du würdest das machen«, neckte Colby ihn. »Im Ernst, ihr zwei, vergesst diese Sache mit den De La Cruz-Brüdern. Sie mögen mich genauso wenig, wie ich sie mag. Diese Männer sind total archaisch. Ich sehe sie als eine Art Kerkermeister im vierzehnten Jahrhundert, wo Frauen noch ihren Vätern und Ehemännern gehörten.«
»Wirklich?« Ginny sah einen Moment lang richtig verträumt aus. »Ich sehe sie eher als Könige in einem Schloss oder große Fürsten oder so etwas. Sie sehen sehr gut aus.«
Colby rümpfte die Nase. »Findest du? Ist mir gar nicht aufgefallen.« Sie schaffte es, ganze drei Sekunden ernst zu bleiben, bevor sie zusammen mit ihrer jüngeren Schwester in schallendes Gelächter ausbrach. Paul betrachtete die beiden mit angewiderter Miene. Mädchen!
Kapitel 2
E in paar Minuten nachdem sie gehört hatte, dass die Dusche abgestellt worden war, klopfte Ginny an Colbys Schlafzimmertür. Colby hatte so viel Zeit mit den Tieren und draußen im Garten und auf der Heuwiese verbracht, dass Ginny befürchtete, sie könnte ihre Verabredung mit Joclyn Everett vergessen haben.
Colby, die sich gerade ihr langes Haar mit einem Handtuch trocken rieb, lächelte ihre Schwester an, als sie zur Tür hereinspähte. »Ist alles für das Barrel Racing vorbereitet?«
Ginny hüpfte aufgeregt ins Zimmer und setzte sich aufs Bett. »Hast du meine Anmeldung für das Redbluff Rodeo abgeschickt?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Ich habe dir doch gesagt,
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