Verführer der Nacht
Sie klopfte liebevoll auf das Armaturenbrett, winkte Paul und Ginny zu und brauste in einer Staubwolke davon. Als der Wagen bei jedem Schlagloch wilde Sprünge machte und die Stoßdämpfer vor Protest quietschten, drehte Colby das Radio lauter und sang vergnügt während des ganzen Weges in die Stadt.
Sie fand auf dem Seitenstreifen vor dem Saloon einen Parkplatz und rutschte aus dem mitgenommenen Fahrzeug. Es ging allmählich auf neun Uhr. Wahrscheinlich glaubte Joclyn Everett mittlerweile, dass man sie versetzt hatte. Colby war einfach zu müde, um sich deswegen Gedanken zu machen. Mit einem Seufzer und einem Stoßgebet, De La Cruz mitsamt seiner Schar weiblicher Bewunderer möge nicht in der Bar sein, stieß Colby die Tür auf. Trotz des Gedränges war es nicht schwer, Joclyn auszumachen. Ihr schlichtes, weißes Kleid sah nach viel Geld aus, ihr Make-up und ihre Frisur waren perfekt. Aus der Gruppe von Rancharbeitern stach sie hervor wie ein Rohdiamant, und sie schien sich nicht sonderlich wohl in ihrer Haut zu fühlen. Colby konnte sich gut vorstellen, wie unangenehm ihr das alles war, die derben Witze, das Anbaggern, die spitzen Bemerkungen, wie sie nur Frauen untereinander machten. Sie würde versuchen, es wiedergutzumachen, so gut sie konnte. »Joclyn!« Sie schwenkte ihren Arm. »Ich hatte gehofft, dass Sie warten würden. Lass mich bitte durch, Joe, okay?«, fügte sie hinzu, als ein großer, dunkelhaariger Mann sie stürmisch in die Arme nahm.
»Ach, Colby, wann heiratest du mich endlich?«, beschwerte er sich, während er sie ein paar Zentimeter über dem Boden schweben ließ, um sie ausgiebig zu küssen.
Sie gab ihm einen gutmütigen Klaps. »Irgendwann schleppe ich einen Priester hierher, und dann bist du über alle Berge.« Als er sie absetzte, wischte sie sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Und hör auf, mich in aller Öffentlichkeit zu küssen.«
»Möchtest du lieber irgendwohin, wo wir ungestört sind?«, schlug er vor und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen.
Alle in der Bar lachten über Joes Geblödel und begrüßten Colby, als sie sich an dem Cowboy vorbeischob und sich einen Weg durch die Menge bahnte. »Tut mir leid, dass ich so spät dran bin.« Sie warf sich auf einen Stuhl.
»Ich hatte Angst, Sie würden vielleicht nicht kommen, weil Louise gestanden hat, wie unhöflich sie war«, begann Joclyn zögernd. Sie schien sich unbehaglicher denn je zu fühlen.
»Colby!« Ein Mann nahm seinen Hut ab und ließ sich auf den Stuhl neben ihrem fallen. »Du bist ganz schön schwer zu erwischen, Mädchen.«
»Hi, Lance. Das ist Joclyn Everett, Seans Frau. Joclyn, Lance Ryker. Lance, wir sind gerade mitten in einer geschäftlichen Besprechung. Das heißt«, verbesserte Colby mit einem zerknirschten Lächeln, »am Anfang.«
»Ich habe Diablo gekauft. Das Geschäft ist endlich unter Dach und Fach. Du hast versprochen, mir dabei zu helfen, ihn zu trainieren.« Die Worte sprudelten aus ihm heraus. »Ich habe den Handel unter dieser Voraussetzung abgeschlossen.«
»Wann ist er hier?«, fragte Colby mit einem kurzen entschuldigenden Lächeln in Joclyns Richtung.
»Ungefähr in einem Monat. Ich möchte, dass du ihn zu dir auf die Ranch nimmst.«
»Geht klar. Ruf mich einfach an. Paul macht die Termine; falls ich also nicht da bin, kannst du bei ihm oder Ginny eine Nachricht hinterlassen.«
»Danke, Colby.« Lance beugte sich vor, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, bevor er Joclyn zunickte und ging.
»Sie kennen wohl jeden hier«, bemerkte Joclyn.
»Es ist eine kleine Stadt, und diese spezielle Gruppe besteht nur aus Rancharbeitern. Mit den meisten von ihnen bin ich aufgewachsen«, erklärte Colby und lächelte der Kellnerin, die gerade ein hohes Glas vor sie stellte, dankend zu.
Joclyn lachte leise. »Ich habe mir ein Bier bestellt, weil ich sicher war, dass Sie Bier trinken würden, aber wie ich sehe, habe ich mich schon wieder geirrt.«
»Seven-Up. Manchmal bin ich richtig mutig und lasse mir Orangensaft hineingeben.« Colby lachte. »Die anderen machen sich deswegen ganz schön über mich lustig.«
Joclyns dunkle Augen wurden plötzlich ernst. »Ich weiß, dass Sie es als Beleidigung empfanden, als Rafael Sie gefragt hat, ob Sie meiner Tochter das Reiten beibringen können. Und dann stellte ich fest, dass nicht Rafael gefragt hatte, sondern Louise auf ihre übliche reizende Art. Entschuldigen Sie bitte – ich habe volles Verständnis für Sie. Sie arbeiten sehr hart, und Sie
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