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Verführer der Nacht

Titel: Verführer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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sie hatten ihrem Prinzen nach ihrem strengen Ehrenkodex gedient, so gut sie konnten. Das war alles, was ihnen in der grauen, trostlosen Welt ihres endlosen Daseins geblieben war. Aber im Lauf der langen Jahrhunderte waren allmählich alle Erinnerungen verblasst, und die Dunkelheit rückte immer näher.
    Plötzlich sprühten Colbys Augen Funken. »Und haben Sie etwa meine anrüchige Herkunft vergessen? Soweit ich mich erinnere, war ich der Grund, warum die Familie Chevez es nicht über ihr sogenanntes Herz brachte, Armando wieder in den Schoß der Familie aufzunehmen. Soweit ich weiß, bin ich unehelich geboren. Ein De La Cruz sollte mit jemandem wie mir nicht verkehren, geschweige denn um mich werben. Es könnte Ihren guten Namen ruinieren.«
    Seine schwarzen Augen wechselten von tiefdunkler Intensität zu einer so eisigen Kälte, dass sie erschauerte. »Wie kommen Sie denn auf die Idee?« Seine Stimme war leise und doch bedrohlich, und obwohl er sich nicht bewegte, schien er auf einmal viel zu nahe bei ihr zu sein.
    Colby gab keinen Zoll nach, aber der Boden unter ihren Füßen schien plötzlich zu schwanken. »Ich habe den Brief gelesen. Den Brief des Familienpatriarchen, in dem er Armando befahl, meine Mutter und mich schleunigst wieder loszuwerden, bevor ich dem Namen De La Cruz Schande machte. Er lag in der Kommode meiner Mutter. Ich fand ihn nach ihrem Tod.«
    Rafael starrte sie lange an. Er konnte in ihrer Stimme den Schmerz hören, den sie so tapfer zu verbergen versuchte. Und er konnte ihren Schmerz fühlen. »Ach, verstehe. Das erklärt einiges. Nur der Ordnung halber: Meine Brüder und ich haben selbst einen etwas fragwürdigen Ruf; es interessiert uns nicht sonderlich, was die Leute über uns oder andere sagen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung, und Colby glaubte ihm sofort. Er war viel zu gleichgültig, zu arrogant und von sich selbst überzeugt, um sich Gedanken über das Gerede der Leute zu machen. »Der alte Chevez war ein Mann, der seine Stellung in der Gemeinde übertrieben ernst nahm. Er glaubte, wenn er Schande über uns brächte, würden wir seine Familie irgendwie dafür büßen lassen. Das war falsch.«
    Rafael seufzte. »Wir haben uns nicht eingeschaltet, als wir es hätten tun sollen«, gab er zu. Er litt um ihretwillen, um das junge Mädchen, das einen Brief von einem stolzen, alten Mann gefunden hatte, der kein Verständnis für die Veränderungen der neuen Zeit aufbrachte.
    Colby hätte schwören können, dass ein flüchtiger Ausdruck von Zärtlichkeit über sein Gesicht huschte, als er sie anschaute. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der alte Mann auf Sie gehört hätte«, gestand sie ihm leicht beschämt zu. »Vielleicht auf Ihren Vater, aber bestimmt nicht auf Sie.«
    Einen Moment lang hatte er vergessen, auf die Zeitabläufe zu achten. Ständig ermahnte er seine Brüder, vorsichtig zu sein, wenn Dinge, die in der Vergangenheit stattgefunden hatten, zur Sprache kamen, und nicht so darüber zu sprechen, als wären sie damals alle dabei gewesen. Seine nächsten Worte wählte er sehr sorgfältig.
    »Es tut mir leid, dass Ihre família wegen der prätentiösen Einstellung eines unbeugsamen Mannes leiden musste. Als Armandos Brüder den Brief nach seinem Tod entdeckten, gaben sie keine Ruhe und wollten unbedingt persönlich herkommen, um zu versuchen, dieses furchtbare Unrecht wiedergutzumachen. Man muss ihnen eines zugutehalten: Sie wussten nicht, dass Armando geheiratet und Kinder hatte. Sie wussten nicht, dass seine Frau bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war und er selbst schwer verletzt worden war. Wenn sie oder meine Brüder und ich das geahnt hätten, wären wir sofort gekommen.« Das war wahr. Die Brüder De La Cruz betrachteten Armando als Familienmitglied. Hätten sie von seiner Notlage gewusst, wären sie ihm sofort zu Hilfe gekommen. Wir hätten es wissen müssen, hätten besser auf Armando aufpassen und ihn aus der Ferne beobachten sollen. Mit diesem Wissen musste Rafael leben.
    »Das macht die Sache für mich zwar etwas besser, aber ich werde trotzdem nicht erlauben, dass sich Wildfremde mit meinen Geschwistern davonmachen.« Selbst in ihren eigenen Ohren klang sie trotzig.
    »Sie haben den Brief, den der Anwalt Ihnen geschickt hat, gar nicht ganz gelesen, nicht wahr?«, fragte er freundlich, den Blick unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet.
    Colby zuckte die Schultern und reckte ihr Kinn. »Ich habe gelesen, was ich wissen musste, und den Rest überflogen.

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