Verführer der Nacht
sich schrecklich gedemütigt fühlte, sprach schärfer als beabsichtigt. Rafael De La Cruz war der Letzte, der etwas über ihre Angelegenheiten wissen musste. Einen Moment lang verbarg sie ihr Gesicht in ihren Händen. Sie hatte mit ihm geschlafen. Mit ihm geschlafen. Das waren nicht die richtigen Worte für das, was sie in seinen Armen erlebt hatte. Der Mann war ein Wildfremder, aber sie hatte zugelassen, dass er sie berührte, sie verschlang. Sie hatte ihn in ihrem Körper aufgenommen, und jetzt fühlte sie sich entblößt und verletzlich. Langsam ließ sie ihre Hände sinken, um seinen dunklen Augen zu begegnen. Er hatte sie genommen und gezeichnet, und sie war wie verrückt nach seinem Körper und seinen Berührungen gewesen. Sie hätte alles für ihn getan. Gott, sie hatte ihn angebettelt und im Geist immer wieder seinen Namen gerufen! Was war nur los mit ihr?
Rafael entließ das Kind aus seinem Bann und ließ seinen Blick nachdenklich auf Colbys Gesicht ruhen. Ihre Augen blitzten vor Stolz, aber in ihrem Inneren konnte er Furcht und das Gefühl von Demütigung erkennen. Vorsichtig darauf bedacht, seine ungeheure Kraft zu zügeln, fasste er sie an ihrem schmalen Handgelenk. »Wer ist dieser Mann, und warum kann er dir in dieser Weise drohen?« Seine Stimme war leise, seine Zähne sehr weiß und fast raubtierhaft. Ihm war eindringlich bewusst, dass ihm die Zeit davonlief. Um bei Colby bleiben zu können, hatte er seine Kräfte bereits über Gebühr strapaziert.
»Das geht dich nichts an.« Colby versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, und kam sich sehr dumm vor, als es Rafael nicht einmal aufzufallen schien. »Ich bin im Moment zu durcheinander für ein Verhör«, murmelte sie rebellisch und versuchte gleichzeitig, ihre Tränen zu unterdrücken. Die Feststellung, dass ihre diversen Verletzungen nicht mehr wehtaten, seit Rafael sie versorgt hatte, stellte für ihr Seelenheil auch keine Hilfe dar.
Sein Atem entwich mit einem leisen Zischen. »Du wirst mir antworten, Colby.« Es war ein Befehl, obwohl seine Stimme so gedämpft und samtweich war, dass sie seine Worte eher fühlte als hörte. Und trotzdem war es unverkennbar eine Drohung. Seine glitzernden, schwarzen Augen blinzelten nicht ein einziges Mal.
»Na schön.« Colby, die völlig überreizt war und ihre übliche Selbstbeherrschung verloren hatte, starrte ihn böse an. »Ich habe einen Riesenfehler gemacht, als mein Vater krank war. Wir brauchten Geld. Alle wussten von seiner Krankheit, und die Bank wollte uns nichts mehr leihen. Ich kam mit der Arbeit auf der Ranch nicht nach, weil Dad mich in seiner Nähe brauchte. Die Rechnungen türmten sich. Die Kinder brauchten etwas zum Anziehen.« Kriegerisch reckte sie ihr Kinn. »Ich war erst neunzehn, keiner wollte das Risiko eingehen, mir Geld zu leihen, und die Bank wollte wegen der Krankenhausrechnungen und Vaters Lähmung keine Hypothek mehr auf die Ranch geben. Das alles war allgemein bekannt.« Wieder zerrte sie an ihrem Handgelenk. »Ich hasse es, dir das zu erzählen!«
Sie brauchte es ihm nicht zu erzählen, er konnte die Erinnerungen in ihrem Bewusstsein sehen. Sie hatte Armando Chevez mit derselben unerschütterlichen Loyalität und Inbrunst geliebt, die sie ihren Geschwistern gegenüber bewies. Für Colby war Armando Chevez ihr Vater gewesen, Blutsverwandtschaft hin oder her. Völlig gebrochen über den Tod ihrer Mutter, hatte sie die schier unmögliche Aufgabe übernommen, ihren gelähmten Vater zu pflegen und sich um zwei Kinder und die Ranch zu kümmern.
Rafael litt mit ihr, und seine Augen brannten von einem bisher unbekannten Gefühl. Sachte zog er sie am Handgelenk, bis sie sich eng an ihn schmiegte. Er selbst brauchte es noch mehr, sie zu trösten, als sie diesen Trost nötig hatte. Colby riss sich los und stieß die Küchentür auf. Er bewegte sich mit ihr wie ein Tanzpartner: geschmeidig und kraftvoll zugleich. Seine Füße verursachten auf dem gekachelten Boden kein Geräusch.
Colby schaute ihn an. Sie fühlte sich in die Enge getrieben und sehr verletzlich. »Ich habe mir Geld von einem unserer Nachbarn geliehen. Ich wusste, wie er ist, aber wir brauchten das Geld. Vorher schickte ich noch den Brief an die Familie Chevez ab. Das war unsere letzte Hoffnung, doch es kam keine Antwort. Also ging ich zu Clinton Daniels und lieh mir das Geld, das wir brauchten, um weitermachen zu können.« Rafael starrte sie immer noch unverwandt an. Sie zuckte die Schultern. »Ich war nicht dumm
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