Verführer oder Gentleman? (German Edition)
meinen Nachlass nur zu gern in die gierigen Finger kriegen würden. Aber das sind rückgratlose Taugenichtse. Innerhalb eines Jahres würden sie das Landgut in den Bankrott treiben. Wenn du heiratest – was ich inständig hoffe –, sollte dein Gemahl ein eigenes Vermögen besitzen. Fairfax Hall wird für deine Kinder treuhänderisch verwaltet.“
Unwillkürlich lächelte sie. „Wie ich sehe, hast du an alles gedacht.“
„Im Moment hast du keine Stellung.“ Edward erwiderte ihr Lächeln. „Bleibst du vorerst bei mir? Im Herbst kehre ich nach Schottland zurück. Wenn du mich begleitest, würdest du das Haus kennenlernen, in dem deine Mutter aufwuchs. Fairfax Hall ist ein sehr schönes altes Gebäude. Früher war es von Glück erfüllt. So könnte es wieder sein.“
In ihrem Herz und in ihrem Geist kämpften widersprüchliche Emotionen. Seit sie denken konnte, hatte sie den Großvater wegen seiner Grausamkeit gegenüber ihrer Mutter gehasst. Und jetzt erkannte sie, wie qualvoll er unter der Trennung von seiner Tochter gelitten hatte. Trotz des jahrelangen Schweigens war seine Liebe zu Louisa nie erloschen. Ihren Tod betrauerte er immer noch, das verriet seine melancholische Miene.
Aus ihren Schultern wich das steife Gefühl, und sie begann sich zu entspannen. Juliet füllte die beiden Teetassen ein zweites Mal. In ihrem Sessel zurückgelehnt, dachte sie über den Vorschlag ihres Großvaters nach. Eigentlich wollte sie ihn ablehnen. Doch als sie zögerte, schaute er sie so flehend an, dass sie widerstrebend nickte.
„Also gut. Vorerst bleibe ich hier. Ob ich dich nach Schottland begleiten möchte – da bin ich mir nicht sicher. Es könnte Gerede geben. Was würdest du den Leuten erzählen? Wie willst du die Anwesenheit der jungen Frau in deinem Haus erklären?“
„Du bist meine Enkelin. Voller Stolz werde ich dich allen Nachbarn vorstellen und mein Bestes tun, damit du für immer bei mir bleibst – Lady Juliet.“
Allmählich erwärmte sie sie sich für den Gedanken, ihren Großvater näher kennenzulernen. Sein gütiges Wesen weckte eine Zuneigung, die viel zu schnell in ihrem Herzen Wurzeln schlug – trotz ihres Entschlusses, nichts an ihrer Antipathie zu ändern. Immerhin war sie jahrelang der Meinung gewesen, er müsse ein Tyrann sein, der ihre Mutter schlecht behandelt hatte.
Aber jetzt saß sie keinem Tyrannen gegenüber, sondern einem einsamen alten Mann mit gebrochenem Herzen.
„Versuch es“, riet sie ihm lächelnd. „Allerdings wird es mir schwerfallen, mich an einen neuen Lebensstil zu gewöhnen. Und es dürfte eine Weile dauern, bis ich den Leuten antworten werde, die mich Lady Juliet nennen.“ Ihre dunklen Augen funkelten. Belustigt fügte sie hinzu: „Nein, das passt nicht zu mir, und diese Anrede steht mir nicht zu.“
„Sie entspricht deinem Rang. Und eines Tages wirst du eine Countess sein.“
„Wie bitte?“ Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Eine Countess?“
„Selbstverständlich. Als mein einziges Kind hätte deine Mutter den Titel geerbt, der auch an Töchter weitergegeben werden kann. Und da du ihr einziger Abkömmling bist, geht der Titel nach meinem Tod an dich. Was immer du planst – eine junge Dame von Stand braucht schöne Kleider und andere modische Dinge. Deshalb werde ich Hewitt beauftragen, eine Schneiderin ins Haus zu holen. Die soll dich nach der neuesten Mode ausstatten. Außerdem bekommst du ein Taschengeld, über das du nach Belieben verfügen kannst.“
„Oh … ich …“, stammelte Juliet. „Das ist sehr großzügig von dir, aber wirklich nicht nötig …“
Der Earl hob eine Hand und brachte sie zum Schweigen. „Bitte, hör mir zu. Du bist in der Überzeugung aufgewachsen, du müsstest mich hassen. Auch durch den Einfluss deines Vaters. Das verstehe ich, und ich nehme es dir nicht übel. Ich hoffe nur, wenn du über die Umstände des Zwistes und deine jetzige Situation nachgedacht hast, wirst du mir dein Herz öffnen. Lass dich nicht von deinem Stolz leiten – verzichte nicht auf die Sicherheit, die dir meine Position bietet.“
Nach einem tiefen Atemzug nickte sie wieder. In ihrer Brust entstand ein unerwartetes Gefühl. Würde sie diesen sanftmütigen Mann tatsächlich lieb gewinnen? „Nun, wir werden sehen …“
8. KAPITEL
W ährend Dominic in London seinen üblichen Geschäften nachging, wartete er auf eine Antwort von Miss Millington, der Leiterin der Academy in Bath, die Juliet besucht hatte. Sicher konnte die Dame ihm
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