Verführerische Maskerade
länger willkommen. Aber bevor sie irgendetwas sagen konnte, tauchte Boris hinter ihr auf. Er wirkte so nervös, wie der gewöhnlich unerschütterliche Butler nur wirken konnte. Livia vermutete, dass allein der Gedanke, in seinem tadellos geführten Haushalt könnte eine kleine Störung auftauchen, ihn zu höchster Eile angetrieben hatte.
»Prinzessin, guten Morgen«, sagte er und verbeugte sich tief. »Wie kann ich Ihnen dienen?«
»Sie können mir verraten, wo ich mein Personal finde«, erklärte Livia und bemühte sich um einen moderaten Tonfall. Boris konnte nur die Anweisungen seines Herrn befolgt haben. Der Mann handelte niemals ohne ausdrücklichen Befehl.
»Sie halten sich in ihren Wohnungen auf, Eure Hoheit«, erwiderte der Mann, »wenn ich mich recht erinnere, nehmen Morecombe und die Frauen nur Anweisungen von Ihnen persönlich entgegen.«
»Verstehe.« Livia spürte, wie Ärger in ihr aufkeimte. »Boris, kann es sein, dass Sie heute früh versucht haben, ihnen Anweisungen zu erteilen?«
»Ich bin der Majordomus, Prinzessin«, erklärte er. Ihre blitzenden Augen schienen ihn nicht im Geringsten zu beeindrucken. »Das heißt, ich führe hier den Haushalt. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Dinge in diesem Haus reibungslos vonstattengehen. Daher bin ich jederzeit befugt, dem Personal Anweisungen zu erteilen.«
»Damit ist auf der Stelle Schluss, Boris«, verkündete sie mit scharfer Stimme. »Ada und Mavis unterstehen nicht Ihrer Weisungsbefugnis. Ich möchte, dass dieser Punkt unmissverständlich klar ist.«
»Ich werde mit Prinz Prokov darüber sprechen …«
»Das ist nicht nötig«, unterbrach sie ihn, »denn das werde ich selbst erledigen.« Livia machte auf dem Absatz kehrt. An der Tür drehte sie sich um. »Bitte sorgen Sie dafür, dass meine Hunde ins Haus zurückkehren. Ich darf annehmen, dass Hester und Jemmy noch unter diesem Dach angestellt sind?«
»Der Bursche passt auf die Tiere auf, Ma’am. Das Mädchen kümmert sich um die Wäsche.«
Daran fand Livia nichts auszusetzen. Im Moment jedenfalls nicht. Es gab wichtigere Kämpfe auszufechten; immerhin waren die beiden nicht entlassen worden. »Sorgen Sie dafür, dass Jemmy die Hunde unverzüglich ins Haus bringt«, befahl sie und verließ die Küche.
In der Halle blieb sie stehen. Wo mochte Alex sich zurzeit aufhalten? Er hatte nicht angekündigt, dass er den Vormittag außer Haus verbringen wollte. Livia machte sich auf den Weg zur Bibliothek und klopfte. »Alex, bist du hier? Ich möchte mit dir sprechen.« Sie betrat das Zimmer und blieb stehen. »Oh, bitte entschuldige. Mir war nicht klar, dass du Besuch hast.«
Alex war irritiert. Denn er war es nicht gewohnt, dass jemand nur kurz klopfte und gleich darauf in sein Zimmer stürmte. Aber es gelang ihm, seinen Ärger zu beherrschen. »Meine Liebe, darf ich dir Paul Tatarinov vorstellen?«, erwiderte er freundlich, »Tatarinov, das ist meine Frau, Prinzessin Prokov.«
Livia deutete ein Kopfnicken an. Der Mann war ihr auf Anhieb unsympathisch. Er wirkte unbeholfen und eckig. Die Kleidung war ausgesucht und fein, aber seine wuchtige Erscheinung schien überhaupt nicht hineinzupassen. Er verzog die Lippen zu einem gekünstelten Lächeln, als er sich verbeugte und die schiefen gelben Zähne entblößte. Die Haut seiner Hände war rissig und rau. Dieser Tatarinov war das genaue Gegenteil ihres Ehemannes, der einen eleganten grünen Mantel über den taubengrauen Lederhosen trug und sich eine Smaragdnadel in das schneeweiße Krawattentuch gesteckt hatte. Und wer wüsste besser als sie, dass seine Hände weich wie Seide waren?
»Sobald du einen Moment erübrigen kannst, würde ich dich gern sprechen«, bat Livia und glitt leise aus der Bibliothek. Natürlich hatte sie die Irritation in seinem Blick bemerkt, obwohl Alex schnell darüber hinweggetäuscht hatte.
Er hat ein Recht auf seine Privatsphäre, gestand sie sich auf dem Weg in ihren Salon ein. Allmählich würde sie sich daran gewöhnen, dass sie nicht länger jeden Winkel dieses Hauses nach Belieben betreten konnte. Aber es ärgerte sie trotzdem. Sie griff nach der Klingel, um nach Kaffee zu fragen, zögerte dann aber. Wer würde auf ihr Klingeln reagieren?
Plötzlich verließ sie den Salon und eilte zur Hintertreppe. Morecombe, seine Frau und deren Schwester bewohnten ein kleines Apartment im zweiten Stock des Hauses. Weder Livia noch ihre Freundinnen waren jemals in die Nähe der Wohnungen geraten; sie hatten den
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