Verführerische Maskerade
ich überwacht werde«, wiederholte Alex, »aber ich weiß nicht, wer es ist.« Er spielte noch immer mit dem Daumen über den Silberknauf und ließ Tatarinov keine Sekunde aus den Augen. »Ich hoffe, dass Sie mich aufklären werden. Denn mir scheint, Sie sind Teil der Überwachung.«
»Ah, nun, es sind Arakcheyevs Männer«, erklärte der alte Mann, »eigentlich haben sie nichts zu tun. Aber dann hat man sie angewiesen, ein Auge auf die Russen in der Stadt zu haben, sich ihnen für ein paar Wochen an die Fersen zu heften. Im Moment sind Sie ihnen noch nicht verdächtig. Ich habe ihre Aufmerksamkeit abgelenkt, was das betrifft. Jetzt glauben sie, ich stünde auf ihrer Seite. Sie glauben, ich würde Sie ebenfalls in Arakcheyevs Auftrag beobachten. Wenn ich ihnen versichere, dass nichts los ist, werden sie mir vertrauen. Spätestens an Weihnachten sollten Sie Ihre Schatten vergessen können. Dann werden sie sich irgendjemand anders für ein paar Wochen an die Fersen heften.«
Es machte Sinn. Alex war mit dem gefürchteten Chef des zaristischen Komitees für Innere Sicherheit gut bekannt. Arakcheyev genoss das volle Vertrauen des Zaren. Sobald der Mann irgendwo auf dem Kontinent auch nur die geringste Gefahr für seinen Herrscher witterte, würde er dem Verdacht rücksichtslos nachspüren. Es war typisch für sein Vorgehen, dass er von vornherein jeden Mann unter Verdacht stellte und ihn erst dann von der Liste strich, wenn er von seiner Unschuld restlos überzeugt war.
»Dann arbeiten Sie also für Arakcheyev?«, fragte Alex und leerte das Glas.
»Das nimmt er jedenfalls an«, erklärte Tatarinov schulterzuckend. »Und wenn ich mich nicht sehr irre, bin ich Ihnen vor allem dann nützlich, wenn ich seine Männer in diesem Glauben lasse.«
»In der Tat«, stimmte Alex zu. Er war sich immer noch nicht sicher, ob er diesem Mann glauben sollte oder nicht. Tatarinov gab sich vollkommen aufrichtig, tat so, als hätte er rein gar nichts zu verbergen. Aber wenn er klug genug war, eine Rolle als Doppelagent zu spielen, dann war er auch klug genug, die Verschwörer hinters Licht zu führen.
»Warum wollen Sie den Zaren absetzen, Tatarinov?«, hakte Alex nach.
Der Russe drehte sich um und spuckte auf die Kohlen im Kamin. »Aus anderen Gründen als Sie, Prinz. Sie haben ein Leben voller Privilegien in prächtigen Palästen verbracht. Ich und meinesgleichen, wir haben das Land für den Landadel beackert, und wir sind daran zu Grunde gegangen. Alexander hat geschworen, die alte Ordnung aufrechtzuerhalten … er lehnt jede Reform strikt ab. Die Menschen im Lande haben genug. Es reicht. Die Leibeigenen werden sich gegen ihn erheben, und seinesgleichen vielleicht auch. Merken Sie sich meine Worte. Noch ist die Zeit nicht reif. Aber wenn es so weit ist, werden Sie knöcheltief im Blut waten.«
Alex rann ein eiskalter Schauder über den Rücken, als er die finstere Entschlossenheit in der Stimme des Mannes hörte. Es stimmte, dass es zahlreiche Ungerechtigkeiten in seinem Land gab, und es stimmte, dass in den Dörfern große Unruhe herrschte. Aber so war es schon immer gewesen, und der Landadel mit seiner Knute würde den kleinsten Aufstand im Keim ersticken.
Alex konnte Tatarinovs Vorwürfe nicht bestreiten. Aber gleichzeitig war er beruhigt, dass er sich um dessen Gefolgschaft keine Sorgen machen musste. Sie mochten sich der Verschwörung aus verschiedenen Gründen angeschlossen haben, ihre Treue war deswegen aber nicht minder stark. Und am Ende kam es auf das Gleiche heraus.
»Ich würde es begrüßen, wenn Sie mich auf dem Laufenden halten können«, schlug Alex vor und stellte sein Glas ab, »über alles, was Sie in Ihrer Doppelrolle erfahren. Es wäre für uns beide gut, wenn wir unser Wissen teilen.«
»Wie Sie meinen, Prinz«, stimmte Tatarinov zu, »mir kommen alle möglichen Kleinigkeiten zu Ohren. Falls Arakcheyev jemanden in Verdacht hat, landet es zuerst bei mir.«
»Immerhin ein Trost«, kommentierte Alex trocken. Niemand brauchte ihn daran zu erinnern, dass sie ein gefährliches Geschäft betrieben. Trotzdem war es gut, dass sie der Gefahr jetzt einen Namen gegeben hatten. Er wandte sich zur Tür. »Ich werde Sie nun allein lassen. Sie sollten mich benachrichtigen, wenn Sie Neuigkeiten hören.«
»Aye, das werde ich«, stimmte Tatarinov zu. »Übrigens, dieser Viscount Bonham … der Ehemann der Freundin Ihrer Verlobten …«
Mit der Hand auf dem Türknauf hielt Alex inne. »Ja, was ist mit ihm?«
»Er steckt
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