Verführt im Harem des Scheichs
der letzten Unterhaltung mit Ramiz ins Gedächtnis zu rufen. Wie war es ihr nur gelungen, ihn so zu erzürnen? Und warum drängte er sich immer wieder in ihre Gedanken? Warum konnte sie ihn nicht wenigstens eine Zeit lang vergessen?
Ein Diener erschien, um sie in die Bibliothek zu führen, wo Ramiz sie erwartete. Er war ganz in Weiß gekleidet, so wie damals, als sie ihn auf der Anhöhe oberhalb des Hafens zum ersten Mal gesehen hatte. Über der Galabija trug er einen weißen Umhang, und seinen Kopf bedeckte die von einem goldenen Agal festgehaltene Ghutra.
„Der Wüstenprinz“, murmelte Celia und erwiderte kurz das Nicken, mit dem er ihr Eintreten zur Kenntnis genommen hatte, ehe er sich wieder Akil zuwandte. Die beiden schienen in ein sehr ernstes Gespräch vertieft zu sein. Celia kam es vor, als störe sie. Verflixt, warum hatte Ramiz nach ihr geschickt, wenn er sie dann wie einen ungebeten Gast an der Tür warten ließ? Offenbar war es ihm problemlos gelungen, all das, was sich im Harem zugetragen hatte, aus seinen Gedanken zu vertreiben.
Diese Tatsache verärgerte sie, denn ihr war das nicht geglückt, obwohl sie sich so sehr darum bemüht hatte.
Unter halb geschlossenen Lidern hervor beobachtete sie, wie er sich von Akil abwandte und an eines der Bücherregale trat, um die Titel der in Leder gebundenen Werke zu lesen. Wie sehr sie ihn um seine Gleichgültigkeit beneidete! Wie sehr sie sich wünschte, ihm gegenüber ebenso gleichgültig sein zu können! Sie war nicht daran gewöhnt, sich unterlegen zu fühlen. Daheim in England war sie diejenige gewesen, die sich um ihre jüngeren Geschwister kümmerte und einen Großteil der Entscheidungen traf. Sie hatte Ruhe und Selbstsicherheit ausgestrahlt. Jetzt aber war sie nervös und verunsichert. Sie kannte sich selbst nicht mehr und fragte sich, wie sie mit all diesen widerstreitenden Gefühlen umgehen sollte, die Ramiz in ihr geweckt hatte.
Es hatte ihr Leben auf den Kopf gestellt. Nie wieder würde sie die gleiche Celia sein wie vor dem ersten Treffen mit ihm. Nie würde sie vergessen können, was sie in seinen Armen erlebt und unter seiner Anleitung gelernt hatte. Tatsächlich bezweifelte sie, dass sie jemals ein vergleichbares Verlangen nach einem anderen Mann verspüren würde. Und nicht nur das. Alles in A’Qadiz war so faszinierend, dass sie manchmal befürchtete, sich nie mehr mit dem typisch englischen Lebensstil abfinden zu können.
Wie absurd sich das anhörte! Was sollte in einem Land besser sein, in dem die Frauen sich in der Öffentlichkeit verschleiern mussten und die meiste Zeit hinter den verschlossenen Türen des Harems verbrachten?
Sie unterdrückte ein Seufzen und griff nach einem Buch, das auf einem kleinen Tisch in der Nähe der Tür lag. Offenbar war es erst kürzlich aus England geliefert worden. Sie schlug die erste Seite auf und las: Emma , ein Roman in drei Bänden von der Autorin von Stolz und Vorurteil .
Stolz und Vorurteil … Sie hatte den fünf Jahre zuvor erschienen Roman mit ihren Schwestern gelesen, und zwar mit verteilten Rollen. Natürlich war Cassie genau wie im wirklichen Leben die Schönheit der Familie gewesen. Caroline und Cordelia hatten sich darum gestritten, wer von ihnen die flatterhafte Lydia darstellen sollte.
In Erinnerung daran verspürte sie plötzlich Heimweh. Vielleicht war England doch nicht so langweilig, wie sie eben noch gedacht hatte. Auf jeden Fall brannte sie darauf zu erfahren, wie es ihrer Familie ging. Was mochten ihre Schwestern treiben? Die Erdbeeren würden jetzt reif sein. Ob Cassie oder Tante Sophia wohl darauf achtete, dass Caroline nicht zu viele aß? Die Ärmste bekam Ausschlag von den süßen Früchten. Cordelia wiederum aß gar keine frischen Erdbeeren, sondern drängte darauf, dass sie zu Marmelade verarbeitet wurden.
Die Marmelade wurde nach Mamas Rezept hergestellt, und alle Armstrong-Töchter durften dabei helfen. Früher hatte Celia jeder eine Aufgabe zugeteilt. Darum musste nun Cassie sich kümmern. Aber die war so sanft und gutherzig, dass sie es wahrscheinlich nicht übers Herz brachte, irgendwem Befehle zu erteilen. Also würde alles in einem großen Durcheinander enden.
Nein, das wird es nicht, rief Celia sich selbst zur Ordnung. Meine Fantasie geht mit mir durch! Ich bin nicht unentbehrlich, auch wenn ich das gern glauben würde.
„Unentbehrlich?“, fragte Ramiz.
O Gott, hatte sie etwa laut gesprochen? Vor Schreck ließ sie den Roman fallen. Mit einem dumpfen
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