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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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dass er in der Schlacht auf dem Nil die Franzosen hätte besiegen sollen. Ihm gebührte die Baronswürde und die großzügige vom Parlament ausgesetzte Pension. Ihm gebührten Ruhm und Reichtum, nicht einem unerfahrenen Jungchen von Konteradmiral namens Horatio Nelson.
    Die Tochter des Admirals saß an einem robusten Schreibtisch, das Haar zurückgekämmt und im Nacken von einer blauen Samtschleife gehalten. Durch die Fenster, die auf die Bucht hinausschauten, fiel das Sonnenlicht und rahmte golden ihr schönes Profil. Unablässig strich in fein säuberlicher Handschrift die Feder übers Papier, während ihr Vater diktierte.
    Wie schaffte sie es nur, unverändert staunend dreinzusehen, wo sie all die Geschichten doch schon tausend Mal gehört haben musste?, fragte sich Claremont. Sicher, so wie sie ihren Vater vergötterte, war ihr sein Geschwätz wohl heiliger als die Bibel. Kaum zu glauben, dass dieses brave kleine Mäuschen eine Despotin sein konnte, die ihn in der Morgendämmerung ins Haupthaus zitierte, damit er eine Haarnadel rettete, die in eine Ritze des Parkettbodens gefallen war. Er hob die Tasse an die Lippen, um seinen Unmut zu kaschieren.
    »Noch etwas Kaffee, Sir?«
    Gerard staunte über Smythes unvermitteltes Auftauchen. Mit seiner Schnellfüßigkeit schaffte es der Butler immer wieder, ihn zu entnerven. Mehr als einmal war er kurz davor gewesen, Smythe mit dem Suppenlöffel zu erschlagen.
    Aber dieses Verbrechen hätte er bald zutiefst bereut, denn nachdem Smythe herausgefunden hatte, wie sehr Gerard die fade Brühe verabscheute, die man im Snow’schen Haushalt für Tee hielt, brühte er jeden Morgen eine Kanne kräftigen kolumbianischen Kaffee nur für Gerard.
    Gerard schenkte Smythe einen dankbaren Blick, während der die Tasse bis zum Rand nachgoss. Er wärmte sich die Hände am heißen Porzellan und hoffte, dass der duftende Dampf seine schwindende Konzentration belebte.
    »… in genau jenem Jahr, als der alte George endlich seinen Stolz hinuntergeschluckt und mich zum Ritter geschlagen hat«, sagte der Admiral gerade. »Es hat ihn schier zum Wahnsinn getrieben, dass der Sohn eines Bürgerlichen ihm den königlichen Hals gerettet hatte. Achtzig dürfte das gewesen sein. Oder war es einundachtzig?«
    »Zweiundachtzig, Sir«, warf Smythe ein »Nach Ihrem noblen Opfer in der Schlacht von Sadras.«
    »Ah, ja. Sadras!« Die Erinnerung an vergangene Herrlichkeiten ließ ihm die Augen feucht werden. Gerard biss die Zähne, die er am liebsten gefletscht hätte, fest zusammen.
    Lucys Feder flog übers Papier, während sie ihn mit einem tadelnden Blick daran erinnerte, dass er seine Pflichten vernachlässigte. Er hatte sich galanterweise bereit erklärt, einen vermoderten Stapel persönlicher Korrespondenzen nach sachdienlichen Namen und Daten durchzugehen. Aber bis jetzt hatte er nur herausgefunden, dass die meisten Freunde des Admirals genau so hochfahrend und wichtigtuerisch waren wie der Admiral selbst.
    »… und als sich im Morgengrauen dann der Nebel gelichtet hatte, sah ich mich mit einem Mal den hungrigen Schlündern von sechsundachtzig französischen Kanonen gegenüber! Was blieb mir anderes übrig, als den Angriffsbefehl zu geben und …«
    »Siebzehnhundertneunundsechzig«, unterbrach Gerard, bevor sein Arbeitgeber sich in die nächste langwierige Seeschlacht verwickelte. »Das dürfte dann wohl das Jahr Ihrer unglückseligen Verletzung gewesen sein, Sir?« Er blinzelte eulenhaft und machte sich den unschuldigen Anstrich zu Nutze, den seine Augengläser ihm gaben.
    Der Admiral zog die Augenbrauen zum Strich. Lucys Feder kam zur Ruhe. Smythe staubte einen ohnehin schon makellosen Globus nochmals ab und wich geschickt Gerards Blick aus.
    Den Admiral unterbrach man nicht.
    Gerard erwog seine zweifelhaften Zukunftsperspektiven. Fundierte Lobhudelei würde dem Admiral schmeicheln. Gerard erhob sich und umkreiste Lucys Schreibtisch, als hielte es ihn nicht mehr auf dem Sitz. »In einem der Berichte heißt es, ein Bleisplitter hätte Ihren Oberschenkel durchbohrt, aber Sie hätten sich geweigert, das Kommando abzugeben. Sie hätten sich, den Höllenqualen zum Trotz, an den Hauptmasten binden lassen und die Kommandos gegeben, die schließlich zum Sieg geführt hätten.«
    »Die Schachtel, Smythe«, geiferte der Admiral.
    Smythe eilte zu einem riesigen Aktenschrank und holte eine reich verzierte Messingschatulle heraus. Gerard setzte sich halb auf Lucys Schreibtisch und zwang sich, ihr limonenduftendes

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