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Verführt von einer Lady

Verführt von einer Lady

Titel: Verführt von einer Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Quinn
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begrüßte den Schmerz. Im Moment hatte er ihn bitter nötig. Er brauchte etwas, was ihn am Boden hielt, was ihn daran hinderte, einfach zu zerbrechen.
    Und das letzte Stück seiner Selbst zu verlieren.
    „Ich kann nicht etwas tun, was deine Zukunft festlegen würde“, zwang er sich zu sagen. Er sah auf, halb in der Hoffnung, dass sie sich abgewendet hatte, aber nein, sie stand da und starrte ihn an, mit weit aufgerissenen Augen, die Lippen geöffnet. In der kalten Nachtluft konnte er ihre Atemwölkchen sehen.
    Es war die reinste Qual. Sein Körper verzehrte sich nach ihr. Sein Verstand …
    Sein Herz.
    Nein.
    Er liebte sie nicht. Er konnte sie unmöglich lieben. Kein Gott konnte so grausam sein, ihn damit zu schlagen.
    Er zwang sich dazu, weiterzuatmen. Es war nicht einfach, vor allem, als sein Blick von ihrem Gesicht nach unten glitt … über ihren Hals …
    Die kleine Schleife am Oberteil ihres Nachthemds war halb gelöst.
    Er schluckte. Er hatte schon weitaus mehr von ihr gesehen, bei zahlreichen Gelegenheiten. Abendkleider waren beinahe immer tief ausgeschnitten. Und doch konnte er jetzt nicht den Blick wenden von den beiden kleinen Bändern, der einzelnen Schlinge, die auf ihrer wohlgerundeten Brust lag.
    Wenn er daran zog …
    Wenn er den Arm ausstreckte und die Schleife in die Hand nahm, würde ihr Nachthemd aufklaffen? Würde ihr der Stoff über die Schultern gleiten?
    „Geh hinein“, sagte er rau. „Bitte.“
    „Thom…“
    „Ich kann dich nicht allein hier draußen lassen, und ich kann nicht … ich kann nicht …“ Er holte tief Luft. Doch das beruhigte ihn keineswegs.
    Sie regte sich nicht.
    „Geh hinein, Amelia. Wenn schon nicht deinetwegen, dann tu es für mich.“
    Er sah, wie ihre Lippen seinen Namen formten. Sie verstand es nicht. Er versuchte zu atmen, doch es fiel ihm schwer. Er begehrte sie so sehr, dass es schmerzte. „Ich muss alle Kraft aufbieten, die ich habe, um dich nicht hier auf der Stelle zu nehmen.“
    Ihre Augen flackerten. Es war verführerisch, so verführerisch, aber …
    „Lass nicht zu, dass ich zu einem Tier werde, das dich ruiniert, eine Nacht, bevor … bevor …“
    Sie leckte sich die Lippen. Auch wenn sie es aus Nervosität tat, brachte es sein Blut zum Kochen.
    „Amelia, geh.“
    Und anscheinend hatte sie die Verzweiflung in seiner Stimme gehört, denn sie ging hinein, ließ ihn allein auf dem Rasen stehen, wo er sich, brennend vor Begierde, als Narren verfluchte.
    Vielleicht war er ein edler Narr. Ein ehrlicher Narr. Aber doch ein Narr.
    Ein paar Stunden später wanderte Thomas immer noch durch die Flure von Cloverhill. Er hatte beinahe eine Stunde abgewartet, ehe er sich ebenfalls hineinbegab. Dabei hatte er sich eingeredet, dass er die kalte Nachtluft angenehm fand, dass sie sich gut in seinen Lungen anfühlte und seine Haut erfrischte. Und dass es ihm nichts ausmachte, dass seine Füße eiskalt waren und im feuchten Gras sicher wie Trockenpflaumen zusammenschrumpelten.
    Natürlich war das alles Unsinn. Er wusste, wenn er Amelia nicht genügend Zeit ließ, um auf ihr Zimmer zu gelangen – das sie Gott sei Dank mit Grace teilte –, würde er ihr einfach nachlaufen. Und wenn er sie noch einmal berührte, wenn er vor dem nächsten Tag allein ihre Anwesenheit spürte, würde er sich nicht länger bezähmen können.
    Die Kraft eines jeden Mannes hatte Grenzen.
    Er war auf sein Zimmer gegangen, wo er seine eiskalten Füße am Kaminfeuer gewärmt hatte, und danach hatte er seine Schuhe wieder angezogen und war nach unten gegangen, auf der Suche nach irgendetwas, was ihn bis Sonnenaufgang ablenken könnte.
    Im Haus war natürlich alles ruhig. Nicht einmal die Dienstboten regten sich, um ihre morgendlichen Pflichten anzutreten. Doch dann glaubte er, etwas gehört zu haben. Ein leises Kratzen, wie wenn ein Stuhl über den Boden gezogen würde. Und als er sich genauer im Flur umsah, entdeckte er, dass weiter unten durch eine offene Tür Licht auf den Boden fiel.
    Neugierig ging er den Flur hinunter und sah in das betreffende Zimmer. Jack saß dort, und sein Gesicht war eingefallen und erschöpft. Eigentlich sah er aus, dachte Thomas, wie er sich fühlte.
    „Können Sie nicht schlafen?“, fragte Thomas.
    Jack sah auf. Sein Gesicht war merkwürdig ausdruckslos. „Nein.“
    „Ich auch nicht“, sagte Thomas und betrat das Zimmer.
    Jack hielt ihm die Flasche Brandy hin. Sie war noch mehr als drei Viertel voll, was von einem Bedürfnis nach Trost kündete, nicht nach

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