Verführt von einer Lady
wie man es von ihnen erwartete.
Zornig starrte sie ihn an.
Er erwiderte den Blick. „Grace“, sagte er scharf, ohne sich umzudrehen, „gehen Sie zu Bett.“
Darauf trat eine längere Stille ein, und schließlich hörte er, wie Grace sich zurückzog.
„Du hast kein Recht, sie so herumzukommandieren“, zischte seine Großmutter.
„Nein, du hast kein Recht dazu.“
„Sie ist meine Gesellschafterin.“
„Aber nicht deine Sklavin.“
Die Hände seiner Großmutter bebten. „Du verstehst das nicht. Du würdest es nie verstehen.“
„Wofür ich bis in alle Ewigkeit dankbar bin“, gab er zurück. Lieber Himmel, der Tag, an dem er sie verstand, wäre der Tag, ab dem er sich selbst nicht mehr leiden könnte. Sein Leben lang hatte er sich bemüht, es dieser Frau recht zu machen – beziehungsweise sein halbes Leben lang; die andere Hälfte hatte er damit zugebracht, ihr aus dem Weg zu gehen. Sie hatte ihn nie gemocht. Thomas konnte sich noch recht gut an seine Kindheit erinnern und war sich dessen sicher. Jetzt machte es ihm nichts mehr aus; inzwischen war ihm klar geworden, dass sie niemanden mochte.
Früher war das anscheinend einmal anders gewesen. Falls man den verbitterten Erzählungen seines Vaters Glauben schenken konnte, hatte Augusta Cavendish ihren zweiten Sohn John angebetet. Immer hatte sie darüber geklagt, dass er nicht ihr Erstgeborener und damit der Erbe war, und als Thomas’ Vater unerwartet die Nachfolge angetreten hatte, hatte sie ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie ihn für einen sehr schwachen Ersatz hielt. John hätte einen besseren Herzog abgegeben, und wenn er es nicht werden konnte, dann Charles, der auf diese Rolle schließlich vorbereitet worden war. Nachdem er gestorben war, war Reginald, der dritte Sohn, mit einer verbitterten Mutter zurückgeblieben und einer Gattin, die er weder mochte noch respektierte. Er hatte immer das Gefühl gehabt, dass er gezwungen worden sei, sich unter seinem Stand zu verheiraten, weil niemand damit gerechnet hatte, dass er einmal das Erbe antreten würde, und er sah keinerlei Grund, warum er mit seiner Meinung hinter dem Berg halten sollte.
Obwohl Reginald Cavendish und seine Mutter sich offenbar nicht ausstehen konnten, waren sie sich in Wirklichkeit äußerst ähnlich. Keiner von beiden mochte überhaupt irgendjemanden, und ihren Sohn Thomas konnten sie schon überhaupt nicht ausstehen, ob er nun der Erbe war oder nicht.
„Schade, dass wir uns unsere Familie nicht aussuchen können“, murmelte Thomas.
Seine Großmutter sah ihn scharf an. Er hatte nicht so laut gesprochen, dass sie ihn hatte verstehen können, aber sein Ton war nicht schwer zu interpretieren.
„Lass mich in Ruhe“, sagte sie.
„Was ist heute Abend nur mit dir geschehen ?“ Denn all das ergab überhaupt keinen Sinn. Ja, schon möglich, dass sie von Straßenräubern überfallen worden war. Schon möglich, dass jemand mit einer Schusswaffe auf ihr Herz gezielt hatte. Aber Augusta Cavendish war kein zerbrechliches Püppchen. Selbst im Sarg würde sie noch Gemeinheiten spucken, daran zweifelte er nicht.
Sie öffnete den Mund, und in ihren Augen glomm ein rachsüchtiger Ausdruck auf, doch am Ende hielt sie den Mund. Stattdessen straffte sie die Schultern, biss die Zähne zusammen und sagte schließlich: „Geh.“
Er zuckte mit den Schultern. Wenn sie ihm nicht erlauben wollte, den pflichtbewussten Enkel zu spielen, sah er sich von jeder Verantwortung befreit. „Ich habe gehört, dass sie deine Smaragde nicht bekommen haben“, sagte er auf dem Weg zur Tür.
„Natürlich nicht“, fuhr sie ihn an.
Er lächelte. Hauptsächlich, weil sie es nicht sehen konnte. „Das war nicht nett von dir“, sagte er und drehte sich an der Tür noch einmal zu ihr um. „Sie einfach Miss Eversleigh in die Hand zu drücken.“
Darauf schnaubte sie nur verächtlich; offenbar war ihr sein Kommentar keine Erwiderung wert. Er hatte auch nicht mit einer Antwort gerechnet: Augusta Cavendish hätte ihre Gesellschafterin nie über ihre Smaragde gestellt.
„Schlafe wohl, teure Großmutter“, sagte Thomas und trat auf den Flur. Ein letztes Mal steckte er den Kopf durch die Tür, nur so weit, um eine abschließende Bemerkung loszuwerden. „Wenn dir das nicht gelingt, dann schweige wenigstens still darüber. Noch mehr würde ich mir ja wünschen, dass du dich unsichtbar machen würdest, aber du bestehst ja darauf, dass du keine Hexe bist.“
„Du bist ein höchst
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