Verführt von einer Lady
nun einmal. Celeste war keine vergnügungssüchtige Schauspielerin oder Opernsängerin. Sie war eine anständige Witwe, und so musste er sie auch behandeln, was Plaudereien und andere Feinheiten bedeutete, selbst wenn ihm nicht der Sinn nach einem Gespräch stand.
Oder anderen Feinheiten.
Und so war er in seiner Karriole sitzen geblieben, die vor ihrem Haus auf der Straße stand, mindestens zehn Minuten lang. Am Ende kam er sich vor wie an Narr und fuhr davon. Quer durch die Stadt. An einem ihm unbekannten Wirtshaus machte er Rast und trank ein Glas Bier. Er genoss es sogar, vor allem die Ruhe. Die Ruhe und den Frieden, von keinem einzigen Menschen angesprochen zu werden, der eine Frage hatte, ihn um einen Gefallen bitten oder ihm gar, Himmel hilf, ein Kompliment machen wollte.
Eine gute Stunde hatte er mit seinem Glas dagesessen und einfach nur die Leute ringsum beobachtet. Als er dann bemerkt hatte, wie fürchterlich spät es geworden war, hatte er sich schließlich auf den Heimweg begeben.
Er gähnte. Sein Bett war äußerst bequem, und er hatte vor, dies weidlich auszunutzen. Vielleicht sogar bis Mittag.
In Belgrave war alles still. Die Dienstboten waren zu Bett gegangen, und auch seine Großmutter hatte sich anscheinend zur Ruhe begeben.
Gott sei Dank.
Sicher, er liebte sie – nahm er an. Allerdings war das eher theoretisch, denn in der Praxis konnte er sie nicht ausstehen. Aber das tat niemand. Er schuldete ihr wohl eine gewisse Treue. Sie hatte einen Sohn geboren, der eine Frau geheiratet hatte, die ihrerseits dann ihn geboren hatte. Für die eigene Existenz musste er ihr dankbar sein, wenn schon für sonst nichts.
Darüber hinaus wusste er allerdings keinen Grund, warum er sie gernhaben sollte. Augusta Elizabeth Debenham Cavendish war – höflich ausgedrückt – keine sehr nette Person.
Von Leuten, die sie früher gekannt hatten, hatte er sich erzählen lassen, dass sie zwar nie sonderlich freundlich, aber auch nie ganz so unfreundlich gewesen sei. Doch das war lange vor seiner Geburt gewesen, bevor zwei ihrer drei Söhne gestorben waren, der älteste am selben Fieber, das auch ihren Mann dahingerafft hatte, der zweite bei einem Schiffsunglück vor Irland.
Thomas’ Vater hatte nie damit gerechnet, dass er einst der Herzog werden könnte, nicht bei zwei vollkommen gesunden älteren Brüdern. Das Schicksal war wahrhaftig launisch.
Thomas gähnte, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, während er leise die Eingangshalle Richtung Treppe durchmaß. Und dann entdeckte er zu seiner großen Überraschung …
„Grace?“
Sie schrie vor Überraschung leise auf und stolperte von der letzten Stufe. Automatisch sprang er hinzu, um sie zu stützen, und hielt sie an den Oberarmen fest, bis sie sich wieder gefangen hatte.
„Euer Gnaden“, sagte sie und klang dabei schrecklich erschöpft und müde.
Er trat zurück und betrachtete sie neugierig. Zu Hause hatten sie die förmliche Anrede mit dem Titel längst aufgegeben; sie war eine der wenigen Personen, die ihn mit Vornamen ansprachen. „Warum zum Teufel sind Sie noch wach?“, fragte er. „Es ist nach zwei.“
„Nach drei, um genau zu sein“, seufzte sie.
Thomas sah sie genau an, versuchte sich vorzustellen, was seine Großmutter wohl getan haben konnte, dass ihre Gesellschafterin um diese Uhrzeit noch auf war. Er hatte beinahe Angst, darüber nachzudenken – wer weiß, was sich die alte Dame nun schon wieder in den Kopf gesetzt hatte. „Grace?“, fragte er sanft; das arme Mädchen wirkte furchtbar erschöpft.
Sie blinzelte und schüttelte kurz den Kopf. „Entschuldigung, was haben Sie gesagt?“
„Warum wandern Sie des Nachts durch die Gänge?“
„Ihre Großmutter fühlt sich nicht wohl“, sagte sie mit einem ironischen Lächeln und fügte abrupt hinzu: „Sie kommen aber auch spät nach Hause.“
„Ich hatte in Stamford zu tun“, erwiderte er barsch. Er betrachtete Grace als echte Freundin, aber gleichzeitig war sie durch und durch Dame. Er würde ihre Ohren nie damit besudeln, Celeste in ihrer Gegenwart zu erwähnen.
Außerdem ärgerte er sich immer noch über seine Unentschlossenheit. Warum zum Teufel war er den ganzen Weg nach Stamford gefahren, nur um dort wieder umzukehren?
Grace räusperte sich. „Wir hatten einen … aufregenden Abend“, sagte sie und fügte beinahe widerstrebend hinzu: „Wir wurden von Straßenräubern überfallen.“
„Gütiger Himmel!“, rief er aus und sah sie scharf an. „Alles in Ordnung
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