Verführt von einer Lady
Außerdem wählte Wyndham diesen Moment, um noch einmal an der Tür vorüberzugehen.
Schweigend sahen die drei Damen zu, wie er verschwand. Im nächsten Augenblick tat er einen Schritt rückwärts und sah durch die Tür. Er war wie immer makellos gekleidet. Sein Hemd war frisch und schneeweiß, seine Weste ein Traum aus tiefblauem Brokat. „Meine Damen“, sagte er.
Die drei knicksten.
Er nickte knapp. „Verzeihung.“ Und entschwand.
„Na“, meinte Elizabeth, was ganz gut war, da sonst keine etwas zu sagen wusste, um das Schweigen zu brechen.
Amelia blinzelte und überlegte, was genau sie von alledem halten sollte. Sie war nicht bewandert in der Etikette des Küssens und wusste nicht, wie man sich hinterher verhalten sollte, war aber überzeugt, dass die Ereignisse des Vorabends mehr als ein knappes „Verzeihung“ verlangten.
„Vielleicht sollten wir jetzt gehen“, sagte Elizabeth.
„Nein, das könnt ihr nicht“, sagte Grace. „Noch nicht. Die Herzoginwitwe möchte Amelia sehen.“
Amelia stöhnte.
„Tut mir leid“, sagte Grace, und es war ziemlich offensichtlich, dass sie es auch so meinte. Die Herzoginwitwe genoss es sichtlich, an Amelia herumzunörgeln. Wenn es nicht ihre Haltung war, war es ihre Miene, und wenn es nicht ihre Miene war, dann eine neue Sommersprosse auf der Nase.
Und wenn es nicht die neue Sommersprosse war, dann die Sommersprosse, die sie demnächst bekommen würde , denn selbst wenn Amelia gerade drinnen und im Schatten stand, wusste die Herzoginwitwe einfach, dass Amelia ihren Hut nicht eifrig genug zurechtrücken würde, wenn sie das nächste Mal in die Sonne hinaustreten musste.
Wahrhaftig, es war erschreckend, wie umfassend und unzutreffend die Herzoginwitwe über sie Bescheid wusste.
„Sie werden den nächsten Duke of Wyndham zur Welt bringen!“, hatte die alte Dame sie mehr als einmal angefahren. „Unvollkommenheit kann da nicht geduldet werden.“
Amelia stellte sich den restlichen Nachmittag vor und seufzte.
„Ich esse jetzt den letzten Keks“, verkündete sie und setzte sich wieder hin.
Die beiden anderen nickten mitfühlend und nahmen ebenfalls Platz.
„Soll ich noch ein paar kommen lassen?“, fragte Grace.
Amelia nickte niedergeschlagen.
In diesem Moment kam Wyndham zurück. Amelia stieß ein missmutiges Knurren aus, weil sie sich jetzt wieder aufrecht hinsetzen musste – und ausgerechnet jetzt hatte sie den Mund voller Krümel, und überhaupt redete er gar nicht mit ihr, sodass sie sich für nichts und wieder nichts aufregte.
„Auf der Treppe hätten wir es beinahe fallen lassen“, sagte der Herzog gerade zu Grace. „Das Ding ist nach rechts gekippt und hätte sich beinahe selbst auf das Geländer gespießt.“
„Ach herrje“, murmelte Grace.
„Es hätte ihn mitten ins Herz getroffen“, fuhr er mit grimmigem Humor fort. „Das wäre die Sache fast wert gewesen, nur um ihr Gesicht zu sehen.“
Grace machte Miene, sich zu erheben. „Ihre Großmutter ist also aufgestanden?“
„Nur um den Transport zu beaufsichtigen. Noch sind Sie in Sicherheit.“
Grace wirkte erleichtert. Amelia verstand sie nur allzu gut.
Wyndham schaute zu dem Teller, auf dem die Kekse gelegen hatten, sah dort nichts als Krümel und wandte sich wieder zu Grace um. „Ich kann einfach nicht fassen, dass sie die Stirn besaß, von Ihnen zu verlangen, es letzte Nacht für sie heraufzuholen. Oder“, fügte er eher trocken als scharf hinzu, „dass Sie so verwegen waren, zu glauben, Sie könnten es schaffen.“
Grace erklärte ihren beiden Gästen: „Die Herzoginwitwe hat mich letzte Nacht gebeten, dass ich ihr das Gemälde bringe.“
„Aber das Bild ist doch riesig!“, rief Elizabeth aus.
Amelia sagte gar nichts. Sie war zu sehr damit beschäftigt, über Graces zurückhaltende Wortwahl zu staunen. Schließlich wussten sie alle, dass die Herzoginwitwe nie um irgendetwas bat.
„Meiner Großmutter war ihr mittlerer Sohn immer der liebste“, erklärte der Herzog grimmig. Und dann sah er Amelia an, als hätte er die Frau, die er zu heiraten gedachte, erst jetzt bewusst wahrgenommen: „Lady Amelia.“
„Euer Gnaden“, erwiderte sie pflichtbewusst.
Allerdings bezweifelte sie, dass er sie gehört hatte, denn er hatte sich schon wieder Grace zugewandt. „Sie werden mich selbstverständlich unterstützen, wenn ich sie wegsperren lasse?“
„Thom…“, begann Grace, korrigierte sich dann aber mit einem Räuspern. „Euer Gnaden. Sie müssen heute besonders
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