Verführt von einer Lady
sie.
Amelia beschloss, nicht weiter darauf zu beharren. An Millys Stelle hätte sie auch nicht weggeschaut. „Schön. Verrat nur nichts.“
„Nicht einmal Elizabeth?“
„Niemandem.“
Milly nickte. Amelia wusste, dass sie ihr vertrauen konnte. Elizabeth war oft nicht imstande, den Mund zu halten, doch Milly konnte schweigen wie ein Grab – bei entsprechender Motivation. Und da Amelia der einzige Mensch war, der wusste, wie Lord Crowlands Sammlung importierter Zigarren durch eine umstürzende Teekanne durchweicht worden war … Sie musste Milly ja nicht unbedingt erzählen, dass ihre Mutter die Zigarren abscheulich fand und deswegen keinerlei Interesse daran hegte, nach dem Schuldigen zu fahnden.
Wie dem auch sei, Milly war jedenfalls äußert motiviert, den Mund zu halten.
Mit einem letzten Blick auf ihre Schwester eilte Amelia über die Straße, wobei sie umsichtig all den Pfützen auswich, die sich seit dem Regenguss der letzten Nacht gebildet hatten. Sie näherte sich Wyndham – auch wenn sie immer noch halb hoffte, dass er es nicht war – und sagte, wobei sie zögerlich den Kopf neigte: „Ähm, Euer Gnaden?“
Er sah auf. Blinzelte. Legte den Kopf schief und verzog dann das Gesicht, als wäre diese Bewegung unklug gewesen. „Meine Braut“, sagte er schlicht.
Und hätte sie mit seinem Atem beinahe umgehauen.
Amelia erholte sich indes rasch wieder, packte ihn am Arm und hielt ihn fest. „Was machen Sie hier?“, flüsterte sie. Panisch sah sie sich um. Auf der Straße war nicht allzu viel los, aber es konnte jeden Augenblick ein Bekannter vorbeikommen. „Und was, du lieber Himmel, ist mit Ihrem Auge passiert?“
Es war purpurrot verfärbt, von der Nasenwurzel bis zur Schläfe. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Es war weitaus schlimmer als damals, als sie Elizabeth aus Versehen mit einem Cricketschläger getroffen hatte.
Er fasste sich an den blauen Fleck, zuckte mit den Schultern und kräuselte nachdenklich die Nase. Dann sah er sie an. „Sie sind doch meine Braut, oder?“
„Noch nicht“, brummte Amelia.
Er betrachtete sie mit seltsamer, höchst angestrengter Konzentration. „Ich glaube, noch sind Sie es.“
„Wyndham“, unterbrach sie ihn.
„Thomas“, korrigierte er sie.
Sie hätte beinahe gelacht. Ausgerechnet jetzt war der Zeitpunkt gekommen, sich mit Vornamen anzureden? „Thomas“, wiederholte sie, hauptsächlich, damit er sie nicht dauernd unterbrach. „Was machen Sie hier?“ Und als er nicht antwortete: „Und in diesem Zustand?“
Verständnislos sah er sie an.
„Sie sind betrunken“, flüsterte sie wütend.
„Nein“, meinte er, während er sich das durch den Kopf gehen ließ. „Gestern Abend war ich betrunken. Jetzt fühle ich mich nur unpässlich.“
„Warum?“
„Brauche ich einen Grund?“
„Sie …“
„Natürlich habe ich einen Grund. Ich möchte Ihnen den zwar nicht gern mitteilen, aber ich habe einen Grund.“
„Ich muss Sie nach Hause bringen“, entschied sie.
„Nach Hause.“ Er nickte und wirkte dabei furchtbar weise. „Das ist wirklich mal ein interessanter Ausdruck.“
Während er Unsinn erzählte, sah Amelia sich auf der Straße um, suchte nach etwas – irgendetwas –, das ihr verriet, wie er letzten Abend hierhergekommen war. „Euer Gnaden …“
„Thomas“, korrigierte er mit einem etwas wackligen Grinsen.
Sie hob die Hand und spreizte die Finger, was mehr als beruhigende Geste für sie selbst gedacht war denn als Tadel für ihn. „Wie sind Sie hierhergekommen?“, fragte sie ganz langsam. „Wo ist Ihre Kutsche?“
Er überlegte. „Ich weiß nicht recht.“
„Lieber Gott“, brummte sie.
„Ist er das?“, sinnierte er. „Ist er lieb? Wirklich lieb?“
Sie stöhnte laut auf. „Sie sind ja immer noch betrunken.“
Er sah sie an, lange und forschend, und gerade als sie ihm sagen wollte, dass sie sich sofort auf die Suche nach seiner Kutsche machen müssten, sagte er: „Kann schon sein, dass ich ein bisschen betrunken bin.“ Er räusperte sich. „Immer noch.“
„Wyndham“, begann sie in ihrem strengsten Ton. „Sie erinnern sich doch sicher …“
„Thomas.“
„Thomas.“ Sie knirschte mit den Zähnen. „Sie erinnern sich doch sicher, wie Sie hierhergekommen sind.“
Wieder dieses schwachsinnige Schweigen, gefolgt von: „Mit einem Pferd.“
Na, wunderbar. Er war hergeritten. Genau, was sie jetzt brauchten.
„Und einer Kutsche!“, fügte er munter hinzu und lachte herzhaft über seinen
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