Verführt von einer Lady
lehnte sie sich zurück. Sie glaubte ihm, dass es nicht zu seinen Gewohnheiten gehörte, alkoholische Exzesse zu veranstalten, und war froh darüber. Viel Erfahrung mit angeheiterten Herren hatte sie nicht, aber was sie gesehen hatte – normalerweise auf Bällen, bei denen sie länger als üblich hatte bleiben dürfen –, hatte ihr nicht sonderlich zugesagt.
Trotzdem war sie froh, ihn einmal so erlebt zu haben. Sonst war er immer so beherrscht, immer ruhig und selbstbewusst. Es lag nicht nur daran, dass er der Duke of Wyndham war und nur wenige Männer im Rang über ihm standen. Es lag in seinem Wesen begründet – seiner gebieterischen Art, seiner kühlen Intelligenz. Er stand im Hintergrund, betrachtete die Menschenmenge, und die Leute wollten , dass er die Rolle des Anführers übernahm. Sie wollten, dass er die Entscheidungen fällte, ihnen sagte, was sie tun sollten.
Der Dichter John Donne hatte sich getäuscht. Manche Menschen waren eben doch Inseln, waren sich selbst genug. Der Duke of Wyndham war es. Immer schon, seit sie denken konnte.
Bis auf diesen Moment; jetzt hatte er sie tatsächlich gebraucht.
Er hatte sie gebraucht.
Wie aufregend.
Und das Beste daran war, dass er es gar nicht bemerkt hatte. Er hatte sie nicht darum bitten müssen. Sie hatte seine Not gesehen, die Lage abgeschätzt und gehandelt.
Sie hatte die Entscheidungen getroffen. Sie hatte die Führung übernommen.
Und ihm hatte es gefallen. Er hatte gesagt, sie gefalle ihm so gebieterisch. Am liebsten hätte sie einen kleinen Freudentanz aufgeführt.
„Was lächeln Sie so?“, fragte er. „Sie sehen höchst zufrieden aus.“
„Ach, Sie würden das nicht verstehen“, erwiderte sie ohne jede Bitterkeit. Sie verübelte ihm seine Selbstbeherrschung keineswegs. Im Gegenteil, sie beneidete ihn darum.
„Das ist unfair“, beklagte er sich sanft.
„Ich habe es als Kompliment gedacht“, erwiderte sie, wobei ihr klar war, dass er auch das nicht verstehen würde.
Er hob eine Braue. „Dann werde ich Ihnen das wohl glauben müssen.“
„Oh, bei einem Kompliment würde ich nie lügen. Ich verteile sie nicht willkürlich. Ich finde, sie sollten etwas bedeuten, meinen Sie nicht auch?“
„Selbst wenn der Empfänger die Botschaft nicht versteht?“
Sie lächelte. „Selbst dann.“
Er erwiderte das Lächeln, ein leises, ironisches Heben des Mundwinkels. Doch darin steckten Humor und vielleicht sogar eine Spur Zuneigung. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte Amelia Willoughby sich vorstellen, dass eine Ehe mit dem Duke of Wyndham mehr bedeuten könnte als Pflichterfüllung und gesellschaftliche Stellung.
Tatsächlich könnte sie sich als äußerst angenehme Unternehmung erweisen.
9. KAPITEL
Vermutlich war es eine gute Sache, dass er immer noch zu viel Alkohol im Blut hatte, als Amelia auf ihn zukam, denn andernfalls wäre er sehr verlegen gewesen. Und jetzt – wo von seiner alkoholseligen Nacht nur noch ein Hämmern in der linken Schläfe und ein dumpfer Druck in der rechten zurückgeblieben war – dachte er sich, nun hatte sie das Schlimmste gesehen und war trotzdem nicht schreiend davongelaufen. Im Gegenteil, er hatte den Eindruck, dass sie recht gern mit ihm in der Kutsche fuhr, wo sie ihn freundschaftlich ausschimpfen und mit den Augen rollen konnte.
Bei dem Gedanken hätte er beinahe gelächelt, wenn die Kutsche nicht in diesem Augenblick über eine Bodenwelle gerumpelt und ihm das Hirn gegen die Schädeldecke geklatscht wäre – wenn so etwas denn möglich war. Mit der Anatomie kannte er sich nicht so gut aus, aber immerhin kam ihm diese Erklärung immer noch wahrscheinlicher vor als das, wie es sich anfühlte, nämlich dass ein Amboss durchs Fenster geflogen war und sich in seine linke Schläfe gegraben hatte.
Warum seine rechte Schläfe dann ebenfalls dröhnen sollte, war ihm nicht ganz klar. Vermutlich aus Solidarität.
Er stieß ein ächzendes Stöhnen aus und drückte die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger zusammen, als könnte dieser Schmerz die Kopfschmerzen übertönen.
Amelia sagte gar nichts und sah auch nicht so aus, als glaubte sie, etwas sagen zu müssen – wodurch sie ihn in seiner neu gewonnenen Überzeugung bestärkte, dass sie eine ganz großartige Frau sei. Sie saß einfach da – mit erstaunlich gelassener Miene, wenn man überlegte, dass er wie der Tod höchstpersönlich aussehen musste und jederzeit grässliche Dinge ausspeien konnte.
Von seinem Auge ganz zu schweigen. Schon am Abend davor
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