Verführt von einer Lady
hat mir geholfen, nach Hause zu kommen, als ich … indisponiert war.“
„Das war aber wirklich freundlich von ihr“, sagte sie spröde.
Wütend starrte Thomas sie an. Sie sah aus, als könnte sie jeden Moment zu lachen anfangen.
Grace räusperte sich. „Haben Sie schon, ähm, in Erwägung gezogen, sich ein wenig frisch zu machen?“
„Nein“, erklärte er sarkastisch. „Es macht mir großen Spaß, wie ein Liederjan herumzulaufen.“
Grace verzog das Gesicht.
„Und jetzt hören Sie zu“, fuhr er energisch fort. „Amelia wird das wiederholen, was ich schon gesagt habe, aber Sie dürfen Mr. Audley ihr gegenüber auf keinen Fall erwähnen.“ Das Letzte knurrte er nur noch; es fiel ihm schwer, den Namen auszusprechen, ohne dabei seinem Abscheu Ausdruck zu verleihen.
„Das würde ich doch nie tun“, sagte Grace. „Das steht mir nicht zu.“
„Gut.“ Er hatte gewusst, dass er sich auf sie verlassen konnte.
„Aber sie wird wissen wollen, warum Sie … ähm …“
„Sie wissen nicht, warum“, sagte er entschieden. „Sagen Sie ihr einfach das. Warum sollte sie glauben, dass Sie mehr wissen könnten?“
„Sie weiß, dass ich Sie als Freund betrachte“, sagte Grace. „Außerdem wohne ich hier. Dienstboten wissen immer alles. Das weiß sie auch.“
„Sie sind keine Dienstbotin“, widersprach er.
„Doch, und das wissen Sie auch“, erwiderte sie, und um ihre Lippen zuckte es belustigt. „Der einzige Unterschied ist, dass ich bessere Kleidung tragen darf und hin und wieder mit den Gästen plaudern kann. Aber ich versichere Ihnen, dass ich den gesamten Dienstbotenklatsch kenne.“
Lieber Himmel, was war in diesem Haus nur los? War denn alles, was er tat, ja, was er je getan hatte, Allgemeingut? Thomas fluchte leise in sich hinein und atmete dann tief durch. „Würden Sie es mir zuliebe tun, Grace? Sagen Sie ihr doch bitte, Sie wüssten es nicht.“
Bald würde Amelia alles erfahren, er wollte nur nicht, dass sie es heute erfuhr. Er war zu müde, Erklärungen abzugeben, zu erschöpft nach seinem eigenen Schock, um sich noch um ihren kümmern zu können, und außerdem …
Zum ersten Mal in seinem Leben freute er sich, dass sie seine Verlobte war. Sicher würde ihm niemand einen Vorwurf daraus machen, wenn er sich dieses Gefühl ein paar Tage erhalten wollte.
„Natürlich“, sagte sie, schaute ihn dabei aber nicht an. Dann jedoch sah sie auf, wie es sich gehörte, blickte ihm in die Augen und fügte hinzu: „Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.“
Er nickte. „Amelia wird schon auf Sie warten.“
„Ja. Ja, natürlich.“ Grace eilte zur Tür, blieb dann aber noch einmal stehen und drehte sich um. „Ist mit Ihnen auch alles in Ordnung?“
Was für eine Frage.
„Nein, antworten Sie nicht“, murmelte sie und lief aus dem Zimmer.
Amelia saß im silbernen Salon, wartete auf Grace und versuchte, nicht mit dem Fuß auf den Boden zu klopfen. Dann bemerkte sie, dass sie stattdessen mit den Fingern trommelte, was laut ihrer Mutter sogar noch schlimmer war, und so zwang sie sich, damit aufzuhören.
Worauf sie sofort wieder mit dem Fuß zu klopfen begann.
Sie stieß die Luft aus und entschied, dass es ihr egal war. Es war ohnehin niemand da, der sie beobachtete, und trotz allem, was ihre Mutter sagte, war Fußklopfen keine schlechte Angewohnheit, wenn es im Verborgenen geschah. Im Gegensatz zu Nägelkauen (was sie niemals tun würde), weil man damit rund um die Uhr ungepflegt aussah.
Einmal hatte sie versucht, Milly den Unterschied zu erklären, die stundenlang still sitzen konnte wie ein Stein, aber schon seit Jahren keinen weißen Rand mehr an ihren Fingernägeln gesehen hatte. Milly hatte sich vollkommen außerstande erklärt, da einen Unterschied zu erkennen. Natürlich aus rein egoistischen Gründen.
Amelia betrachtete ihre eigenen Nägel, die, wie sie nun sah, nicht so sauber aussahen wie sonst. Vermutlich hatte sie sich die schmutzigen Nägel geholt, als sie Wyndham durch Stamford geschleppt hatte. Nur der Himmel wusste, in welchem Drecksloch er sich herumgewälzt hatte. Vermutlich war er gerade oben und wusch sich. So unordentlich hatte sie ihn noch nie erlebt. Vermutlich hatte er noch nie so unordentlich ausgesehen. Und …
War er das? Ging er gerade an der offenen Tür vorbei. Sie sprang auf. „Thomas? Sind das …“
Der Gentleman blieb stehen und drehte sich um, und da sah Amelia, dass es sich um jemand anders handelte. Sie erkannte eine gewisse Ähnlichkeit, doch sie hatte
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