Verführt von einer Lady
sie habe. Und wenn nicht …“ Thomas zuckte mit den Schultern. „Ich werde mir irgendeine Anstellung suchen müssen, nicht? Und ich habe mir schon immer gewünscht, zu reisen. Vielleicht könnte ich Ihr Kundschafter sein? Ich werde den ältesten, kältesten Ort der ganzen Inseln finden und dabei einen Riesenspaß haben.“
„Mein Gott“, fluchte Jack, „nun hören Sie schon auf, so zu reden.“
Thomas sah ihn neugierig an, hakte aber nicht weiter nach. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was wohl im Kopf seines Vetters vor sich ging. Jacks Gesicht wirkte auf einmal ganz eingefallen, und seine Augen blickten trostlos.
Er wollte nicht nach Hause. Nein, er hatte Angst , nach Hause zu gehen.
Thomas spürte einen Funken Mitleid in der Brust, und das für einen Mann, den er doch eigentlich hätte verachten sollen. Aber es gab nichts zu sagen. Nichts zu fragen.
Und so schwieg er. Er schwieg den ganzen restlichen Ritt. Stunden vergingen, um sie herum wurde es dunkel und kühl. Sie kamen durch reizende kleine Ortschaften, durch das größere, geschäftigere Cavan, und schließlich gelangten sie nach Butlersbridge.
Eigentlich hätte es dort unheimlich aussehen sollen, dachte Thomas. Die Schatten hätten lang und verzerrt sein sollen, sie hätten merkwürdige Tierlaute hören müssen, zum Beispiel nächtliches Geheul.
Hier würde man ihm den Boden unter den Füßen wegziehen, sein Leben beschlagnahmen. Es war einfach nicht richtig, dass der Ort so pittoresk aussah.
Jack ritt ein Stück vor ihnen und war beträchtlich langsamer geworden. Thomas schloss auf und zügelte sein Pferd ebenfalls. „Ist das die Straße?“, fragte er ruhig.
Jack nickte. „Gleich um die Kurve.“
„Sie erwarten Sie nicht, oder?“
„Nein.“ Jack spornte sein Pferd zum Trott an. Thomas blieb zurück. Manche Dinge musste man allein tun.
Das Mindeste, was er jetzt tun konnte, war, die Herzoginwitwe während Jacks Heimkehr zurückzuhalten.
Er ritt immer langsamer, hielt sich dabei in der Straßenmitte, sodass die Kutsche ebenfalls langsamer werden musste. Thomas sah, wie Jack am Ende der kurzen Auffahrt abstieg, die Stufen erklomm und an die Tür klopfte. Ein Lichtstrahl fiel heraus, als geöffnet wurde, aber Thomas konnte nicht hören, was gesagt wurde.
Die Kutsche wurde an der Seite der Auffahrt abgestellt, und ein Stallbursche erschien, um der Herzoginwitwe beim Aussteigen zu helfen. Die alte Dame wollte schon losstürzen, aber Thomas glitt rasch aus dem Sattel und hielt sie am Arm fest.
„Lass mich los“, fuhr sie ihn an und wollte sich losreißen.
„Um Gottes, willen, Weib“, gab Thomas zurück, „nun lass ihm doch ein paar Augenblicke mit seinen Verwandten.“
„ Wir sind seine Verwandten.“
„Hast du wirklich kein Gran Einfühlungsvermögen?“
„Hier stehen weitaus gewichtigere Dinge auf dem Spiel als …“
„Es gibt nichts , was nicht noch wenigstens zwei Minuten warten könnte. Absolut nichts.“
Sie kniff die Augen zusammen. „Dass du so denkst, wundert mich nicht.“
Thomas fluchte, und das keineswegs verhalten. „Ich bin bis hierher mitgekommen, oder nicht? Ich bin ihm mit Höflichkeit begegnet, seit einiger Zeit sogar mit Respekt. Ich habe mir deine Bosheiten und dein endloses Gemecker angehört. Durch zwei Länder bin ich geritten, habe im Rumpf eines Schiffes geschlafen und sogar – und das ist wirklich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt – meine Verlobte aufgegeben. Ich habe wohl bewiesen, dass ich auf das vorbereitet bin, was immer sich an diesem Ort ergeben mag. Aber bei allem, was heilig ist, ich werde nicht den letzten Rest an Menschlichkeit aufgeben, den ich mir bewahren konnte, obwohl ich mit dir in einem Haus aufgewachsen bin.“
Hinter seiner Großmutter sah er Grace und Amelia, die ihn beide mit offenem Mund anstarrten.
„Diesem Mann“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „können wir wohl gerade noch zwei Minuten mit seiner Familie gewähren, verdammt noch mal!“
Seine Großmutter warf ihm einen eisigen Blick zu. „In meiner Gegenwart wird nicht geflucht.“
Thomas war so verblüfft, dass sie auf seine Worte überhaupt nicht reagierte, dass er den Griff um ihren Arm lockerte. Sofort riss sie sich los, lief zur Vordertreppe hinüber und eilte hinauf, bis sie direkt hinter Jack stand. Der umarmte soeben eine Frau, in der Thomas seine Tante vermutete.
„Ähem“, sagte die Herzoginwitwe, wie nur sie es konnte.
Thomas kam herbeigeeilt,
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