Verführt von einer Lady
fest.
„Zwanzig Meilen, Euer Gnaden“, erwiderte Mrs. Audley und wandte sich dann wieder an ihren Neffen. „Jack? Worum geht es eigentlich? Warum musst du beweisen, dass deine Mutter verheiratet war?“
Jack zögerte einen Augenblick, räusperte sich dann und sagte: „Mein Vater war ihr Sohn“, wobei er mit dem Kinn zur Herzoginwitwe wies.
„Dein Vater …“ Mrs. Audley keuchte auf. „Du meinst, John Cavendish …“
Thomas trat vor. Irgendwie war er bereit, in der sich zuspitzenden Lage das Heft in die Hand zu nehmen. „Dürfte ich mich einmischen?“
Jack nickte ihm zu. „Bitte sehr.“
„Mrs. Audley“, begann Thomas, „wenn sich beweisen lässt, dass Ihre Schwester verheiratet war, dann ist Ihr Neffe der rechtmäßige Duke of Wyndham.“
„Der rechtmäßige Duke of …“ Schockiert legte Mary die Hand auf den Mund. „Nein. Unmöglich. Ich erinnere mich an ihn. Mr. Cavendish. Er war …“ Sie wedelte mit den Armen in der Luft, als wollte sie ihn mit Gesten beschreiben. Nachdem sie mehrmals vergebens zum Sprechen angesetzt hatte, erklärte sie schließlich: „So etwas hätte er uns doch niemals vorenthalten.“
„Er war damals nicht der Erbe“, erklärte Thomas ihr, „und er hatte keinerlei Grund zu der Annahme, dass er es eines Tages werden könnte.“
„Ach, du lieber Himmel. Aber wenn Jack der Duke ist, dann sind Sie …“
„Es nicht“, schloss er ironisch. Er sah zu Amelia und Grace, die den gesamten Wortwechsel von der Haustür aus verfolgt hatten. „Bestimmt verstehen Sie jetzt unseren Eifer, die Angelegenheit zu klären.“
Fassungslos und schockiert sah Mrs. Audley ihn an.
Thomas wusste nur zu gut, wie sie sich jetzt fühlte.
Amelia war sich nicht sicher, wie spät es war. Bestimmt nach Mitternacht. Sie und Grace waren vor ein paar Stunden auf ihr Zimmer geführt worden, und obwohl sie sich schon vor Stunden das Gesicht gewaschen und das Nachthemd angezogen hatte, war sie immer noch wach.
Lange Zeit hatte sie einfach nur unter der Decke gelegen und sich einzureden versucht, Graces gleichmäßigen Atemzügen wohne Musik inne. Dann war sie ans Fenster getreten und hatte sich gesagt, wenn sie schon nicht schlafen konnte, gab es Schöneres als die Zimmerdecke, was sie anstarren konnte. Es war beinahe Vollmond, was das Licht der Sterne verblassen ließ.
Amelia seufzte. Sie hatte ohnehin schon Probleme, die einzelnen Sternbilder zu identifizieren.
Geistesabwesend ortete sie den Großen Wagen.
Dann schob sich eine Wolke davor.
„Na, da passt ja wieder mal alles zusammen“, grollte sie.
Grace begann zu schnarchen.
Amelia setzte sich auf die breite Fensterbank und lehnte den Kopf an die Scheibe. Das hatte sie in jüngeren Jahren immer gemacht, wenn sie nicht schlafen konnte – ans Fenster treten und die Sterne und Blumen zählen. Manchmal war sie sogar hinausgeklettert, ehe ihr Vater die majestätische Eiche vor ihrem Fenster hatte zurückschneiden lassen.
Das hatte Spaß gemacht.
Sie wünschte es sich zurück. Den Spaß. Heute Nacht. Sie wollte diese grimmige Verzweiflung verscheuchen, diese schreckliche Furcht. Sie wollte hinausgehen, den Wind auf ihrem Gesicht spüren. Sie wollte singen, wo niemand sie hören konnte. Sie wollte sich die Beine vertreten, die immer noch ganz steif waren von der langen Reise.
Sie sprang von der Fensterbank und warf sich ihren Mantel über. Dann schlich sie sich an Grace vorbei, die irgendetwas im Schlaf murmelte. (Leider konnte sie es nicht verstehen. In dem Fall wäre sie selbstverständlich geblieben und hätte gelauscht!)
Im Haus war erwartungsgemäß alles still, schließlich war es mitten in der Nacht. Sie hatte einige Erfahrung darin, in schlummernden Haushalten herumzuschleichen, obwohl sich diese Erfahrung auf die Streiche beschränkte, die sie ihren Schwestern gespielt hatte – oder auf die Rache, die sie für deren Streiche geübt hatte. Leichten Schrittes eilte sie die Treppe hinab, und ehe sie es sich versah, stand sie in der Eingangshalle, öffnete die Tür und schlüpfte in die Nacht hinaus.
Die Luft war frisch und taufeucht, aber sie fühlte sich herrlich an. Sie kuschelte sich in ihren Mantel und ging über den Rasen zu den Bäumen. Ihre Füße waren eiskalt – sie hatte keine Schuhe angezogen, weil sie den Lärm nicht riskieren wollte –, aber das war ihr egal. Sie nahm den morgigen Schnupfen gern in Kauf, wenn sie dafür eine Nacht in Freiheit gewann.
Freiheit.
Sie lachte und rannte los.
Thomas konnte nicht
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