Verfuehrt zur Liebe
stehen, blickte suchend in das Dunkel, wartete ...
»Entschuldigung, ich bin es nur.«
Charlie. Sie stieß den angehaltenen Atem zischend aus, blickte nach unten und tat so, als müsse sie die Fransen ihres Schals ordnen. »Sie haben mich beinahe zu Tode erschreckt!«
Sie flüsterte, wie er es auch getan hatte.
»Ich passe auf dieser Seite auf, aber es ist schwierig, hier vorwärts zu kommen. Ich werde mich zum Wäldchen zurückziehen.«
Sie runzelte die Stirn. »Achten Sie auf die trockenen Blätter und Nadeln.«
»Keine Sorge. Simon müsste irgendwo hinter dem Sommerhaus sein, und Stokes nahe dem Weg zum Haus.«
»Danke.« Sie schüttelte den Schal ein letztes Mal, hob den Kopf, holte tief Luft, um ihre überreizten Nerven zu beruhigen. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung.
Die Brise war abgeklungen; die Nacht selbst schien in erwartungsvolle Stille zu verfallen.
Als sie die Stelle vor dem Sommerhaus erreichte, blieb sie stehen, tat so, als müsse sie nachdenken, hatte natürlich aber nicht vor hineinzugehen. Innen konnten die anderen sie nicht sehen, daher wandte sie sich ab und schlenderte weiter.
Als wäre sie tief in Gedanken versunken. Sie hielt den Kopf gesenkt, beobachtete aber ihre Umgebung unter gesenkten Lidern. Ließ ihre Sinne schweifen ... sie gingen davon aus, dass der Mörder sie zu erdrosseln versuchen würde - eine Pistole war zu laut, zu leicht zu verfolgen, ein Messer zu blutig.
Bislang hatte sie nicht wirklich darüber nachgedacht, wer es sein würde - welchen der vier Verdächtigen sie treffen würde; während sie ging und wartete, hatte sie Zeit und Grund genug dafür. Sie wollte nicht, dass es James oder Henry waren, doch ... wenn, nach allem, was sie wusste, sie einen von den vieren nennen sollte, wäre es James.
Tief im Inneren rechnete sie damit, James zu treffen.
Er hatte die innere Stärke, die Entschlossenheit. Es war etwas, das sie bei ihm und Simon spürte.
James war ihrer Ansicht nach der wahrscheinlichste Täter.
Desmond ... er hatte sich mit Kittys Einmischung so lange abgefunden, war ihr jahrelang aus dem Weg gegangen. Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, dass er mit einem Mal von mörderischer Wut erfasst werden könnte, mörderisch genug, um wirklich zu töten.
Was Ambrose anging, so konnte sie sich wirklich nicht vorstellen, dass er so unüberlegt handelte. Mit verkniffenen Lippen - und verklemmt, hatte sie Charlie murmeln hören, einer Beobachtung, der sie kaum widersprechen konnte - achtete er so sehr auf sein Verhalten, war so berechnend und kaltblütig auf seine Karriere bedacht, dass die Vorstellung von ihm in mörderischer Wut, nur weil Kitty ihn in aller Öffentlichkeit bedrängt hatte ... das war schwer zu glauben.
Dann blieb nur James. Gleichgültig, was sie für ihn empfanden, sie wusste, dass, wenn sich ihr Verdacht bestätigte, Simon und Charlie ihn nicht decken würden. Es wäre schmerzlich für sie, aber sie würden ihn an Stokes ausliefern - persönlich. Ihr Ehrenkodex verlangte das von ihnen.
Sie verstand das - genau genommen sogar besser als die meisten Gentlemen. Ihr Bruder Edward, der ein paar Jahre jünger war als Luc, wurde nicht mehr in Gesprächen erwähnt. Viele Familien hatten verdorbene Äpfel am Familienstammbaum. Die Ashfords hatten ihren abgerissen, mit Stumpf und Stiel, und sie konnte nur hoffen, dass die Glossups nicht auch so einen Skandal durchstehen müssten.
Der Weg zum Haus lag vor ihr. Beinahe hatte sie den ganzen Rundweg vollendet... und niemand war gekommen. War sie zu schnell gegangen? Oder lauerte ihr der Mörder irgendwo auf dem Rückweg zum Haus auf?
Als sie die Einmündung erreichte, schaute sie hoch, betrachtete die Schatten am Rande des Weges ... und entdeckte einen Mann. Er stand dicht unterhalb der Anhöhe, seitlich im Schatten eines riesigen Rhododendrons. Die dunklen Blätter hinter ihm erlaubten es ihr, ihn besser zu sehen.
Es war Henry.
Sie war erschreckt, überrascht ... sah nach unten und ging weiter, als hätte sie ihn nicht bemerkt, während sich ihre Gedanken überschlugen.
War er der Täter? Hatte er davon erfahren, dass Kitty James wegen ihres Kindes erpresste, wie sie es angenommen hatten? War das der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte?
Ihr war kalt, aber sie ging weiter. Wenn es Henry war, musste sie ihn hier herunterlocken - wo sie sicher war. Sie setzte ihren Weg fort, ihre Röcke schwangen um ihre Beine, während sie weiterging, wieder zum Wäldchen.
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