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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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richtigen Männern zu reisen, wenn allein Ihre Stimme verrät, was Sie sind?«
    Sie fühlte sich von Casanova im Stich gelassen und wusste doch, dass sie kein Recht dazu besaß. Er hatte klargestellt, dass er nicht wie der Student Kastraten die Schuld an ihrer Existenz gab. Natürlich war die Kastration kein natürlicher Zustand, aber wenn sie dieser Feststellung beipflichtete, dann würde sie sich vorkommen wie ein Hündchen, das sich aus Angst vor Tritten auf dem Boden rollte oder unter einer Bank verkroch. Schlimmer, sie würde sich vorkommen, als ließe sie ihrerseits Appianino Jahre nach seinem Tod noch im Stich.
    »Im Augenblick«, gab sie daher verächtlich zurück, »wüsste ich nicht, wo in dieser Kutsche richtige Männer zu finden wären. Mich hat man nämlich gelehrt, dass ein sogenannter richtiger Mann nicht auf diejenigen herabsieht, die er für schwächer hält, und sich selbst für überlegen dünkt ob eines Umstands, den er mit jedem Tier gemeinsam hat, und der sich im Übrigen mit einem Messer leicht ändern lässt.«
    Unwillkürlich presste der Student seine Beine zusammen.
    »Ihresgleichen sollte man nicht mit normalen Menschen verkehren lassen«, zischte er. »Vor allem, wenn Sie die Stirn haben, Ihre verdorbenen Hände nach unseren Frauen auszustrecken. Meiner armen Verlobten hat so ein Widerling den Kopf verdreht, und ich habe ihn noch nicht einmal zum Duell fordern können, weil er eben kein echter Mann ist!«
    »Sie haben genug gesagt«, schnitt ihm Casanova das Wort ab. »Seien Sie still oder verlassen Sie die Kutsche. Ich werde nicht länger dulden, dass Sie meinen Reisegefährten beleidigen.«
    »Ihren Reisegefährten?«, wiederholte der Student. »Glauben Sie bloß nicht, dass ich nicht bemerkt hätte, wie Sie ihn ansehen. Sie sind doch auch so einer, den die widernatürliche Lust erfasst hat, geben Sie das ruhig zu!«
    Casanova presste die Lippen zusammen. Das musste es sein, vor dem er sich gefürchtet hatte: von der Welt nicht mehr als ein Liebhaber von Frauen betrachtet zu werden, sondern als jemand, der sich lächerlich machte, indem er in einen Eunuchen vernarrt war.
    »Der Einzige, der hier ständig von Lust redet, sind Sie«, sagte Bellino. »Was mich an das Sprichwort erinnert, dass nur die viel über etwas reden, die nicht in der Lage sind, das zu tun, über das sie ständig sprechen, und die beneiden, denen es anders geht. Bei Ihren Manieren wundert es mich allerdings nicht, wenn niemand mit Ihnen ins Bett gehen will …«
    »Sie …«
    »Ja«, sagte Casanova abrupt.
    »Was?«, fragte der Student verwirrt, mitten aus seiner drohenden Geste herausgerissen, denn er hatte seine geballten Fäuste auf Bellino gerichtet.
    »Ja«, sagte Casanova erneut, wobei er nun Bellino ansah. »Ich bin so einer. So einer bin ich.«
    Sie hatte Momente erlebt, in denen sie ihn gernhatte, Momente, in denen sie ihn begehrte, Momente, in denen er ihr leidtat, und Momente, in denen sie ihn beneidete. Aber bis zu dieser Minute, als er ihr in die Augen schaute und »ja« sagte, sich um ihretwillen vor einem wildfremden Menschen zu etwas bekannte, das er immer von sich gewiesen hatte, war ihr die wilde Zärtlichkeit fremd gewesen, die sich jetzt in ihr Herz senkte.
    Den Studenten ignorierend, beugte sich Bellino vor, verkürzte den Abstand zwischen sich und dem Venezianer zu einem Nichts und küsste ihn so lange und ausgiebig, wie sie nur konnte. Nach dem ersten Augenblick der Überraschung ergriff er ihre Arme und erwiderte ihren Kuss mit einem Hunger, der sie beide den Studenten vergessen ließ. »Aufhören, aufhören!«, brüllte dieser. »Das ist ja widerlich!«
    Die Kutsche hielt an. Der Kutscher rief ihnen zu, dass sie nur noch eine halbe Post von Sinigaglia entfernt seien, aber wenn weiter herumgeschrien würde, dann sähe er sich befugt, die schuldige Partei an die Luft zu setzen.
    »Ich gehe freiwillig«, sagte der Student. »Keine Minute länger will ich diese verpestete Luft einatmen!«
    Sein Kleiderbündel war leicht vom Dach der Kutsche zu lösen, und er machte seine Drohung umgehend wahr, die eher wie ein Versprechen geklungen hatte. Während sich die Kutsche erneut in Bewegung setzte, lehnte sich Casanova auf seinem Sitz zurück. Sie hätte sich neben ihn niederlassen können, aber sie wollte zuerst wissen, ob der Kuss nur als Demonstration dem widerwärtigen Studenten gegenüber gedacht war. Zudem schwirrte ihr selbst noch der Kopf.
    »Sie hätten mich heilen können, wissen Sie«, sagte

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