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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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es eine Menge«, gab er zurück und schnappte sich eines der Stücke, die sie sich gerade abgeschnitten hatte. Er ließ es sich von ihr in den Mund stecken, langsam, ganz langsam, und dankte es ihren Fingerspitzen auf ausgesuchte Weise mit seiner Zunge. »Du hältst mich für reich, aber das bin ich nicht. Wenn ich das Geld in meiner Börse ausgegeben habe, besitze ich nichts mehr. Ich bin auch kein hochgeborener Mann, sondern von niederer oder höchstens gleicher Herkunft wie du. Ich habe keinerlei geldbringende Talente, keine Anstellung und keine Gewissheit, dass ich in einigen Monaten immer noch zu essen haben werde.«
    »Du meinst, dass es keinen Abbate und Kardinalssekretär mit geheimer Mission nach Konstantinopel gibt? Darauf wäre ich nie gekommen«, gab sie zurück und trank aus seinem Becher, als er sich Wein einschenkte.
    »Ich kenne den Kardinal Acquaviva und habe den einen oder anderen Brief für ihn verfasst«, sagte er, tauchte einen Finger in den Wein und streichelte damit ihre Brusthöfe. »Technisch gesehen, macht mich das zu einem, der Briefe verfasst, also zu einem Sekretär. Und ich möchte wirklich Konstantinopel besuchen. Warum auch nicht? Es soll immer noch die schönste Stadt des Ostens sein, und wir Venezianer haben ohnehin halbwegs ein Anrecht darauf. Außerdem bin ich tatsächlich ein Abbate, und meine erste Predigt war ein großer Erfolg. Dabei blieb es dann allerdings auch, denn die zweite war eine einzige Katastrophe, und im Übrigen finde ich es langweilig, von einer Kanzel auf einen Haufen gelangweilter Sonntagskirchgänger herabzusprechen. Deswegen wird aus der kirchlichen Karriere auch nichts, fürchte ich. Meiner Großmutter würde es das Herz brechen, aber sie ist tot, und was ich sonst noch an Verwandten habe, möchte vor allem, dass ich ihnen Geld einbringe, statt ihnen wie mein jüngster Bruder auf der Tasche zu liegen. Ich habe noch nicht einmal klare Zukunftspläne. Alles, was ich letztendlich besitze, sind Jugend, Gesundheit, Mut, die Fähigkeit, Geige und ausgezeichnet mit Karten zu spielen. Und ein bisschen Verstand. Ein paar literarische Versuche habe ich auch verbrochen, aber da musste ich selbst den Drucker bezahlen. Mein größter Reichtum ist der, dass ich mein eigener Herr bin, von niemandem abhänge und kein Missgeschick fürchte. Von meinem Charakter her neige ich sogar zur puren Verschwendung, und ich bereue in meinem Leben nur, was ich nicht getan habe. So bin ich, und anders kann ich mir mein Leben auch nicht vorstellen.«
    So war er, und nichts von dem, was er sagte, überraschte sie, außer dem Umstand, dass ihm jederzeit und nicht erst in einem oder zwei Monaten das Geld ausgehen konnte, denn das machte die Unbekümmertheit, mit der er in Ancona Geld verschwendet hatte, zu einer viel größeren schauspielerischen Leistung, als sie ihm zugetraut hätte. Selbst Petronio wäre nie so unbesonnen und leichtsinnig durch das Leben gegangen.
    »Man sagt, Geld mache nicht glücklich«, versuchte sie das Gesagte für sich und ihn zu relativieren.
    »Diese Aussage bezieht sich aber immer nur auf das Geld der anderen«, antwortete Giacomo. Sie war nicht weiter schockiert.
    Er kam ihr wie einer der Seiltänzer vor, die sie hin und wieder auf den Jahrmärkten beobachtet hatte, halb voller Bewunderung dafür, dass sie es wagten, auf so dünnen Seilen zu balancieren, halb voller Furcht, sie könnten abstürzen.
    Sie horchte in sich hinein und stellte fest, dass sie selbst halb zu ihm auf das Seil wollte und halb das Bedürfnis hatte, fortzurennen. Während sie nebeneinanderlagen, war sie dabei, durch ihn eine Nacktheit zu entdecken, die nichts mit dem Mangel an Kleidung zu tun hatte. Und was er ihr erzählt hatte, war so ehrlich, dass es unmöglich war, nicht auf die gleiche Weise zu antworten. So erzählte sie ihm ihre eigene Geschichte, zuerst stockend, dann fließend, und schloss: »Ich habe ein Talent, das Geld einbringt, aber ich habe kein freigiebiges Herz, nicht wie du. Ich habe immer zuerst an mich selbst gedacht, seit ich Bologna und meine Mutter verlassen habe, aber das ist mir erst in den letzten Wochen klargeworden. Außerdem nehme ich es jedem übel, wenn er Macht über mich haben will. Deswegen bin ich froh, dass du nicht wirklich reich bist oder von hohem Stand. Wir können zusammen sein, weil wir etwas füreinander empfinden, und nicht, weil du mir Vorteile bietest oder weil ich deinen Einfluss fürchte.«
    Kaum hatte sie das ausgesprochen, da machte sich in

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