Verfuehrung
schneller, als du ja sagen kannst.«
Er hüstelte. »Das tut gut zu wissen, aber ich hatte eigentlich das Leben als La Calori gemeint … und den Nicht-mehr-Abbate an deiner Seite.«
»Ich will nicht mein ganzes Leben lang mit einer Lüge leben, Petronio. Wenn ich nirgendwo singen könnte, dann würde ich es tun, aber außerhalb des Kirchenstaates …«
»Calori«, unterbrach er sie, »ich werde nicht anfangen zu singen, wie Cecilia es getan hat, doch du weißt genau, was ich meine. Ich gönne dir ja, dass du endlich Spaß im Bett hattest, statt nur hier und da etwas Gegrabsche von den reichen Pinkeln. Aber …« Er zögerte, dann schloss er: »Was, wenn er dir das Herz bricht?«
Hin und wieder kamen ihnen Spaziergänger entgegen, die Bellino erkannten und grüßend den Kopf neigten, was sie erwiderte. Dabei musste sie Petronio nicht anschauen.
»Habe ich denn eines zum Brechen?«
»Jetzt redest du Unsinn«, sagte er.
»Nein, das tue ich nicht. Du hast es selbst gesagt, an dem Abend, als du herausgefunden hast, dass ich nicht Bellino bin. Dass es mir zuerst immer nur um mich selbst geht.«
»Ich war wütend. Und ganz ehrlich, was ist überraschend daran? Wir alle denken immer an uns selbst zuerst. Vielleicht nicht die Heiligen, aber ich bin noch nie einem begegnet. Ich liebe Mama, Gott schütze sie, aber ganz gleich, wie oft sie sagt, dass sie uns alle vor dem Verhungern bewahren will, an ihren eigenen Magen denkt sie auch und manchmal noch vor den unseren. Und als dir das mit Neapel herausgerutscht ist, da war mein erster Gedanke nicht, ›Der arme Bellino, starb einen einsamen unbetrauerten Tod‹, sondern ›Wie konnte sie mir nicht die Wahrheit sagen?‹. Ich, ich, ich, und dann erst die anderen. So sind wir alle. Dein Giacomo übrigens erst recht.«
»Aber wenn wir alle so sind, dann kann er mir auch nicht das Herz brechen, oder?«, fragte sie, und Petronio warf beide Hände in die Luft.
»Du bist zu schlagfertig für mich, wenigstens das habt ihr gemeinsam.«
Sie bekam an diesem Abend im Opernhaus von Rimini so viel Einzelapplaus, dass ihr die anderen Darsteller mordlustige Blicke zuwarfen und vergeblich versuchten, während ihres Applauses Gespräche mit dem Publikum anzufangen, nach ihren Zofen und Dienern riefen, um die Aufmerksamkeit von ihr auf sich zu lenken. Es lag nicht nur an ihrer Gesangstechnik. Bisher hatte sie geglaubt, man könne nur jemanden vermissen, den man lange Zeit gekannt hatte, aber wenige Tage der Trennung genügten, um sich nach Giacomo zu sehnen, nach seinen Fingern auf ihrer Haut, nach dem Klang seiner Stimme, nach seinem Gelächter, wie dem Aufblitzen einer Klinge, hell und scharf. Sie sehnte sich danach, mit ihm zu streiten, und sie sehnte sich danach, in seinen Armen zu liegen. Manchmal dachte sie, dass sie immer einen Grund gefunden hätte, Mama Lanti mit dem Geld nach Pesaro zu schicken, auch wenn die Contessa die Liebenswürdigkeit in Person gewesen wäre, nur, um Giacomo schneller wieder bei sich zu haben. War das Liebe? Was es auch immer war, sie legte ihre Gefühle in jeden Ton, und es brachte die Menschen so sehr zum Toben, dass der Direktor ihr an Ort und Stelle einen Vertrag für fünf Jahre anbot und glaubte, sie wolle nur den Preis in die Höhe treiben, als sie eine nichtssagende Antwort gab.
All der Applaus galt Bellino. Würden sie auch für La Calori so toben?
Etwas mürrisch richtete der Direktor ihr aus, dass ein österreichischer Offizier darum gebeten habe, empfangen zu werden. »Und dazu würde ich nicht nein sagen«, fügte er hinzu. »Die Österreicher haben ihr Hauptquartier gerade nach Rimini verlegt. Wenn man eine Armee im Ort hat, sollte man sich mit den Mächtigen immer gutstellen.«
Die Armee in Pesaro war Teil der spanischen Kräfte gewesen, wenn auch nur indirekt, da sie Herrn de Gages, dem Herzog von Modena, unterstellt war. »Ich dachte, wir hätten Frieden und der Kirchenstaat solle neutral sein«, sagte Calori. Der Direktor rümpfte nur die Nase. Während sie sich noch die Worte für eine höfliche Ablehnung zusammensuchte, hielt sie jäh inne. In ihrem Brief hatte sie Don Sancho um neue Pässe für sich und Giacomo gebeten und angedeutet, als Gegenleistung sei sie bereit, über sein Angebot mit ihm zu sprechen. In dieser Welt gab es nichts umsonst. Ganz gleich, was Don Sancho im Sinn gehabt hatte, gewiss war er als Spanier immer interessiert, was die Österreicher planten.
Also ließ sie dem Offizier, den der Direktor ihr als
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