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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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sprach sie diese Wahrheit jedoch nicht laut aus. Stattdessen fragte sie: »Giacomo, war der Mann, der vorhin den Gasthof verlassen hat, als ich zurückgekehrt bin, ein Schneider?«
    Er hielt es für sinnlos, zu leugnen. »In den letzten zehn Tagen habe ich die Erfahrung gemacht, dass einem eine Uniform so etwas wie einen kleingöttlichen Status in diesem Land verleiht, ähnlich wie der Rock eines Kirchenmanns. Ich kann aber nicht länger den Abbate verkörpern, davon hast du mich überzeugt, aber als einfacher Signore Casanova durch die Gegend zu ziehen geht auch nicht. Wenn ich eine Offiziersuniform trage, dann verlangsamt sich das Ausstellen der Rechnungen und erleichtert sicher auch die nächste Passkontrolle. Die Uniform wird morgen schon fertig sein, und dann …«
    »Dann haben wir Schulden«, sagte sie fassungslos. Er glaubte zu wissen, was sie so entsetzte.
    » Ich habe Schulden«, sagte er ein wenig steif. »Keine Sorge, ich werde dein Geld nicht benutzen. Ich habe dir schon erklärt, dass ich mir …«
    »Du hast mir gerade erklärt, wie du im Schuldgefängnis landest, mit oder ohne Pass«, gab sie heftig zurück, und obwohl er sich sagte, dass ihre Sorge und ihre Schuldgefühle um ihre leibliche Mutter in ihre Haltung einflossen, die für Ohnmacht und Zorn ein neues Ziel suchten, gab er allmählich seinem eigenen Zorn nach, der ihn schärfer antworten ließ, als er es für möglich gehalten hatte.
    »Ich habe mein Leben bisher ohne die Weisheit eines Mädchens geführt, das noch vor kurzem den Kastraten spielte und dafür jederzeit selbst mit Gefängnis oder Kloster hätte bestraft werden können«, sagte er. »Diese Art von Vorhaltungen erwarte ich eher von einer alten Ehefrau. Nicht von einer Geliebten.«
    Kaum waren ihm die Worte entschlüpft, bedauerte er sie, obwohl sie der Wahrheit entsprachen. Aber sie wurde weiß im Gesicht, und das hatte er nicht gewollt.
    »Ich wusste, dass du den Heiratsantrag nicht ernst gemeint hast«, sagte sie, was die Art von hinterhältiger weiblicher Logik war, die ihn immer wieder zu Fall brachte, weil sie ein Argument hervorholte, das mit der augenblicklichen Auseinandersetzung nicht das Geringste zu tun hatte, dafür aber umso geeigneter war, ihm Schuldbewusstsein einzuflößen. Nun, zwei konnten dieses Spiel spielen.
    »Angesichts der Antwort, die ich bekommen oder vielmehr nicht bekommen habe, wäre mangelnder Ernst auch besser gewesen«, schlug er zurück. »Ich habe Tintenfische mit mehr Wärme und Begeisterung darauf reagieren gesehen, vom Netz eines Fischers gefangen zu werden. Im Grunde warst du erleichtert, als uns die Soldaten dazwischenkamen, gib es zu!«
    Sie machte an Ort und Stelle kehrt und stürmte wieder aus dem Gasthaus hinaus. Er kämpfte mit sich, ob er ihr nachlaufen sollte. Aber er sah seinen Vater vor seinem inneren Auge, hörte den Hohn des Unteroffiziers in Pesaro, der ihn interniert hatte, spürte all seine Zweifel zugleich in sich aufsteigen und blieb, wo er war.
    Es war an ihr, zu ihm zurückzukehren.

    Die beiden höchsten Türme der Stadt grüßten sie, als sie auf die Straße hinauslief. Es war seltsam, in einem Kleid auf diese schnelle, heftige Art spazieren zu gehen, wie sie es jahrelang in Hosen getan hatte, seltsam und behindernd, aber wenn sie im Gasthaus blieb, würde sie ersticken oder etwas sagen, das unverzeihlich war. Warum nur verwendete Giacomo seinen Scharfsinn darauf, sich selbst zu täuschen und seine Gewissensbisse zu unterdrücken? Oder war sie es, die das tat? In ihrem Streit tanzten Recht und Unrecht in ihrem Inneren eine grausame Tarantella. Wenn ihr Spaziergänger und Händler seltsame Blicke zuwarfen, so achtete sie nicht darauf. Sie lief an der Piazza Nettuno vorbei, und die vertraute Neptunstatue mit ihrem Dreizack, der Palast, in dem der Staufer Enzio gefangen gehalten worden war, der Palazzo del Podesta, das Stadtgericht, blitzten vor ihren verschleierten Augen in rotgoldenen, verschwimmenden Umrissen auf.
    Wenn sie ein Mann wäre, könnte sie Falier zum Duell fordern und umbringen.
    Wenn Giacomo ein Mann wäre, dann würde er Falier …
    Nein, das war unsinnig, unsinnig und grausam, und deswegen war sie aus dem Gasthaus gerannt, weil sie es fast laut ausgesprochen hätte. Wenn du unbedingt Soldat spielen willst, hätte sie beinahe gesagt , dann tue es auf diese Weise. Das konnte sie nicht wollen, ganz gleich, wie wütend sie gerade auf ihn war. Das war es nicht, was einen Mann ausmachte: die Bereitschaft,

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