Verfuehrung
Enttäuschung verstehen sollte.
»Ich dachte, es sei Ihnen gleich, Don Sancho, ob ich Mann oder Frau bin?«
»Das ist es auch. Aber ich glaube doch, inzwischen Grund zu der Annahme zu haben, dass Sie in Bologna nichts mehr halten wird … wenn Sie die Möglichkeit haben, in Neapel aufzutreten«, schloss er mit einer unergründlichen Miene. Was meinte er mit »Möglichkeit«? Das alte allgemeine Versprechen von Unterstützung dieses Ziels oder etwas Konkreteres?
»Ich bin ohnehin nur ein paar Tage hier, meines Passes wegen, und dann kehre ich nach Rimini zurück«, sagte sie, ohne Giacomo zu erwähnen, denn bevor sie das tat, wollte sie erst wissen, wie er zu den Ereignissen von Pesaro stand. Sie hatte in ihrem Brief erwähnt, dass man Giacomo dort festgehalten hatte und weswegen, doch wenn er mehr wusste, dann hieß es auch, dass er sich mit der Garnison in Verbindung gesetzt haben musste.
»Ah, Passangelegenheiten«, sagte Don Sancho auch prompt mit einer bekümmerten Miene. »Wie ich hörte, hat etwas übergroße Sorgfalt bei der Überprüfung von Papieren unsere Garnison in Pesaro neulich ein Pferd gekostet.«
»Und ich habe gehört, dass die Garnison von Pesaro dafür einen Koffer voller venezianischer und römischer Kleidung und ein paar kostbare Bücher behalten hat«, konterte sie. »Allein die Bücher sind doch gewiss mehr als ein Pferd wert.«
»Nicht mehr in Zeiten des mechanischen Buchdrucks«, sagte Don Sancho milde. »Aber ich freue mich, dass Ihr junger Mann den Weg zu Ihnen gefunden hat.«
»Und ich freue mich, dass Sie ihn nicht seinem Schicksal überlassen hätten und sich in Pesaro erkundigt haben«, gab sie zurück, denn es erleichterte sie in der Tat, vor allem, da sie nicht mehr den Luxus hatte, Don Sancho zu sagen, sie wolle nicht für ihn arbeiten. Anders als Giacomo konnte sie rechnen. »Ich fürchte, das Pferd ist bei den Österreichern in Rimini gelandet, so dass sich ein Tausch nun nicht mehr bewerkstelligen lässt.«
Don Sancho bot ihr an, mit ihm die kleine Sänfte zu teilen, und sie nahm dankend an. Er wartete, bis die Träger sie angehoben hatten und sich vorsichtig den Hügel hinunterbewegten, dann sagte er: »Nun, Sie haben mir ja schon etwas Österreichisches als Ersatz angeboten, gewissermaßen. Angesichts der Truppenbewegungen war das keine völlige Überraschung, aber es ist trotzdem gut, eine Bestätigung zu haben.«
Das hatte sie gehofft, doch sie sagte nichts, sondern blieb stumm. Ein paar der Gassenjungen und Studenten liefen ihnen noch hinterher und verlangten nach mehr Gesang, doch bald verklangen auch diese Stimmen.
»Ich habe mich für Sie verwendet«, sagte Don Sancho, »und wie sich herausstellte, war ich nicht der Einzige. Der Herzog von Castropignano ist der wichtigste Gönner des Theaters San Carlo, und als ich Ihren Namen erwähnte, kannte er ihn schon von einem gewissen Melani, der ebenfalls Ihretwegen nach Neapel geschrieben hatte.«
Noch immer sagte sie nichts, aber das lag weniger an Selbstdisziplin und würdevoller Haltung als daran, dass sie, wenn sie den Mund öffnete, bestimmt ein Quietschen oder weitäugige »Und?-Und?«-Fragen von sich gegeben hätte, die Marina und Cecilia im Vergleich noch hätten reif erscheinen lassen. Wenn es ihr nur gelang, stumm zu bleiben, dann würde Don Sancho hoffentlich nie erfahren, dass sie immer noch eine kindische Seite in sich barg, vor allem, wenn sie durch die zweieinhalb Meilen bis zum Santuario in einem Kleid Körper und Stimme erschöpft hatte.
»Er wird nach Rimini kommen, um Sie zu hören, und wenn Sie ihn überzeugen, wovon ich ausgehe, dann, mein Freund von ungewissem Geschlecht, haben Sie ein Engagement in Neapel, vorausgesetzt, Sie können sofort nach Rimini dorthin gehen.« Im Halbdunkel der Sänfte konnte sie nicht sicher sein, aber sein Blick schien ihr prüfender zu werden. »Ich ging davon aus, dass Ihre frühere Verpflichtung in Pesaro kein Hindernis mehr ist.«
»Da hatten Sie völlig recht«, presste sie hervor, und die Erleichterung, den Satz einigermaßen gleichmäßig auszusprechen, war fast so groß wie das ungläubige Staunen, das sie erfüllte. Konnte es wirklich sein? Nicht mehr als Plan oder Verheißung, sondern als Gewissheit, mit einem richtigen Vertrag?
»Und Ihre … anderen Verpflichtungen?«, fragte Don Sancho.
Da war er, dachte Calori, der Pferdefuß, auf den sie im Grunde die ganze Zeit gewartet hatte. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn es ihn nicht gegeben
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