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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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auch nichts, wenn tausend Könige Sie zu sich bestellen. Sie werden immer wissen, dass es nicht Ihrer Stimme und Ihres Könnens wegen geschieht.«
    Er beäugte sie. »Der Herzog hat gewöhnlich ein gutes Ohr«, fuhr er fort, »und Melani, der leider keine seines selbstgewählten Namens würdige Stimme besitzt, weiß es auch besser, als Stümper hierher zu empfehlen. Deswegen gehe ich davon aus, dass Sie etwas können. Aber ob Sie genug können, nun, das werden wir bald erleben.«
    »Möchten Sie, dass ich Ihnen vorsinge?«, fragte sie. Zu ihrer Überraschung schüttelte er den Kopf.
    »Nein. Gut im Einzelvortrag zu singen oder bei Proben, das ist eine Sache. Was ich wissen möchte, ist, ob Sie die Aufmerksamkeit eines Publikums erringen können, wenn unser Primo Uomo gleichzeitig während Ihres Vortrags über die Bühne stolziert und mit den Damen und Herren in den Logen kokettiert, und das lässt sich nur in einer Aufführung herausfinden. Wenn Sie untergehen, nun, dann wird der Herzog Sie ein Jahr lang dafür bezahlen, nicht an diesem Theater aufzutreten, und Sie können für ihn und seine feinen Freunde in den Salons singen. Das schlechteste Leben ist das nicht, und viel, viel besser als Verhungern.«
    »Das kommt darauf an, wovon Sie sich ernähren«, hörte sie sich sagen. Halb glaubte sie es, halb wollte sie es glauben, doch auf jeden Fall wusste sie nach seinen Worten, dass er es glaubte. Prompt warf er ihr auch einen verständnisvollen Blick zu.
    »Ja«, entgegnete er einfach. »Wer einmal die Liebe der Menge geschmeckt hat, den macht nichts anderes je wieder wirklich satt.«
    * * *
    Ganz gleich, ob er nur ein paar Monate oder Jahre von Venedig fern gewesen war, etwas an dem Anblick seiner Heimatstadt traf ihn jedes Mal wie das Echo eines Rufes, das man lange vermisst hatte. Zwischen Brücken, Kanälen, den Palazzi mit ihren immer leicht abblätternden Anstrichen und der Mischung aus fieberhaftem Leben und Verfall, die an keinem anderen Ort so zu finden war, war er zu Hause, auf eine Art, wie er nirgendwo sonst so hätte sein können.
    Dabei hatte er zunächst kein Dach über dem Kopf. Die alte Wohnung seiner Eltern in der Calle del Paradiso war nach dem Tod seiner Großmutter endgültig aufgegeben worden und barg längst Mieter, die nichts mehr mit der Familie Casanova zu tun hatten. Sein erster Gönner, Senatore Malipiero, nahm ihm immer noch übel, dass er Giacomo seinerzeit mit Teresa ertappt hatte, die Malipiero selbst nicht mehr als ihr Lächeln hatte gewähren wollen, und er hatte ganz gewiss nicht die Absicht, den Pfarrer von San Samuele aufzusuchen. Mit etwas Glück und dem Hinweis auf seine Grimani-Verbindungen gelang es ihm, eine Wohnung am Fondamente zu mieten, wo es im Sommer wegen der steten Brise von der Lagune her ohnehin kühler und angenehmer war. Er konnte nicht umhin, sich vorzustellen, wie seine Rückkehr wohl mit Calori an seiner Seite verlaufen wäre. Bestimmt hätten sie noch am gleichen Abend eine der Opern besucht, und er wäre das erste Mal auf den Umstand stolz gewesen, dass er viele der Theaterleute Venedigs kannte.
    Trübsal zu blasen lag nicht in seiner Natur, aber er nahm sich vor, heute Abend nicht die Oper zu besuchen. Stattdessen brach er in Richtung seines Lieblingskaffeehauses auf, das nahe San Giacomo dall’Orio lag. Unterwegs traf er ein paar Freunde seiner Großmutter, die gleichzeitig verwundert und bestürzt waren, ihn statt im Überrock und Kragen eines Abbate in einer Uniform wiederzusehen, die keiner von ihnen schon einmal gesehen hatte. »Wo die gute Marzia doch so stolz auf ihren Enkel war«, lamentierte einer von ihnen. »Sie hat sich so darauf gefreut, dass du für sie eine Messe lesen wirst, Giacomo, wenn du erst deine ewigen Gelübde abgelegt hast. Was, wenn ihre Seele jetzt noch …«
    »Meine Großmutter war eine Heilige, die längst im Himmel angelangt ist«, schnitt Giacomo den Redestrom ab, und gegen diese Demonstration achtungsvollen Enkeltums ließ sich nichts mehr sagen. Es war keine Lüge, denn er hielt seine verstorbene Großmutter tatsächlich für so gut wie eine Heilige, aber er wusste sehr wohl, dass die Aussicht auf einen Enkel, der bestimmt ein Herr Bischof werden würde, sie glücklich gemacht hatte. Nun, solange sie lebte, hatte sie daran glauben können. Jetzt musste er selbst seinen Weg gehen.
    Da er in Gedanken in seiner Kindheit steckte, dachte er zuerst, sein Gedächtnis spiele ihm einen Streich, als er eine Frau vor sich gehen sah,

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