Verfuehrung
zusammengeschlagen hat, der ist hier in Neapel nie wieder aufgetreten.«
»Aber wenn er so, hm, unzugänglich ist, warum erhoffen Sie sich dann Erfolg mit einer Bittschrift?«, fragte Calori.
»Weil er gerne den großen Herrn spielt und angibt«, erwiderte dieser offen. »Und große Herren zeigen ihre Größe nun einmal gerne dadurch, dass sie den Patron für uns Kleine spielen. Schauen Sie sich doch die Inschrift an, die er sich über den Eingang seines Palazzo hat meißeln lassen!«
Calori legte den Kopf schief. Über dem Tor standen tatsächlich ein paar lateinische Worte. Nach einigem Grübeln hatte sie sich »Amphion Thebas, Ego Domum« zusammengereimt, was ihr nicht weiterhalf.
»Es heißt, der Grund, warum er sich ein eigenes Haus hat bauen lassen und ein Motto dafür gewählt hat, ist, um zu zeigen, dass es mit der Reiserei für ihn vorbei ist. Er will bei uns in Neapel bleiben.«
»Sprechen Sie Latein?«, fragte Calori.
»Nein, aber ich kann Ihnen schon sagen, was die Inschrift bedeutet, wenn Sie das wissen wollen. ›Amphion hat Theben erbaut, ich dieses Haus.‹ Amphion war ein heidnischer Sänger, das hat mir jedenfalls der Verwalter kürzlich erklärt, der die Mauern von Theben durch seinen Gesang zusammengefügt hat. Wenn sich einer mit alten Heiden vergleicht, dann hat er doch gewiss auch etwas Geld für die Überbleibsel der Römer übrig, meinen Sie nicht? Mein Bruder und ich helfen nämlich bei den Ausgrabungen, und da kann man sich doch etwas hinzuverdienen …«
Gerade jetzt kümmerte es sie nicht, dass der neue König von Neapel Ausgrabungen rund um den Vesuv angeordnet haben sollte. Sie war mehr daran interessiert, herauszufinden, ob Caffarelli imstande war, sie auf offener Bühne zu erwürgen. Wenn er so etwas öfter versuchte und dabei straflos blieb, gab es danach wohl kaum mehr Hinderungsgründe für ihn.
»Wie hält es Caffarelli denn mit Sängerinnen?«
»Er war mit der Tesi in Spanien, weil der König für seinen Bruder auch Duette haben wollte. Solange sie tun, was er will, und nicht versuchen, ihm die Gönner oder das Publikum wegzuschnappen, hat er nichts gegen Frauen.«
»Wie … gütig von ihm.«
Der Bittsteller lachte. »Ein Grund, warum wir ihn in Neapel lieben, ist, dass er nie langweilig wird. Wissen Sie, Porpora hat ihn zwar ausgebildet, aber er weigert sich, Caffarelli zu seinem größten Schüler zu erklären, hat sogar die Stirn gehabt, bei seiner letzten Oper hier in Neapel einem anderen Kastraten die Rolle des Primo Uomo zu geben. Da hat sich Caffarelli spanischen Schnupftabak gekauft und in lauter kleine Papierröllchen gefüllt. Dann mietete er sich für die Uraufführung eine Loge, fing an, den Tabak aus den vielen Röhrchen um sich zu blasen, und der Tabak fiel natürlich auf die Köpfe der Zuschauer im Parterre. Sie reckten die Nasen in die Höhe und fingen an zu niesen und zu schimpfen. Die Damen schrien um ihre Spitzen und Kleider und fingen an, die Sänger zu übertönen, und jeder versuchte, einen Platz zu bekommen, auf den kein Schnupftabak fiel, so dass bis zum Ende des ersten Akts überhaupt keine Zuhörer mehr von der Bühne aus im Parkett zu sehen waren. Nun wissen Sie, warum Porpora Neapel verlassen hat!«
Sie wusste vor allem, warum Logroscino ihren Auftritt zum eigentlichen Prüfstein erklärt hatte. Wie es schien, hatte sie die Wahl, entweder scheu im Hintergrund zu bleiben oder zu riskieren, dass ihre Aufführung von Caffarelli auf die eine oder andere Art zerstört wurde.
»Geht es Ihnen gut? Sie sehen grau im Gesicht aus, junger Freund.«
»Mir geht es hervorragend«, gab Calori grimmig zurück, verabschiedete sich von dem Bittsteller und ließ die Menschentraube vor Caffarellis Palazzo hinter sich. Sie war an diesem Tag alleine, denn Petronio suchte heute eine Wohnung, die nicht zu weit von der Oper entfernt lag, und Maria ließ sich von den Domestiken des Herzogs die Adressen der Schneider, Perückenmacher und Schuster nennen, welche sie brauchten. In diesem Moment war es ihr ganz recht, keine Zuschauer zu haben, denn ihr war bei diesem Gerede übel geworden, und sie übergab sich unweit einer der zahllosen Kirchen Neapels, deren Dächer von Gras bewachsen waren, obwohl sie im Inneren vor Goldbemalungen nur so strotzten.
Stell dich nicht so an, schalt sie sich. Caffarelli ist ein Mensch, kein Vulkan, und er speit keine Lava, gegen die es kein Entrinnen gibt, sondern höchstens Gift und Galle.
Aber sie wollte nicht, dass er Gift und
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