Verfuehrung
Kirchenväter an die Sünder nur so wimmelte und mit der eigentlichen Predigt nur den Titel gemeinsam hatte: »Verführung«. Giacomo probierte sie an seiner Großmutter aus, die zwar keines der lateinischen Zitate verstand, aber doch gebührend beeindruckt wirkte, ihm mit dem Rosenkranz in der Hand zuhörte und immer wieder »du guter Junge!« rief. Sie hatte seinerzeit sehr darunter gelitten, dass ihre Tochter Komödiantin geworden war, und den Sohn dieser Tochter auf dem Weg zum würdigen Beruf des Pfarrers zu sehen war nun Balsam für ihr Herz. Giacomo versuchte, nicht daran zu denken, wie sie wohl reagieren würde, wenn sie erst herausfand, dass er mitnichten die Absicht hatte, lange Abbate zu bleiben.
Don Tosello, so stellte sich heraus, war nicht alleine in seinem Pfarrhaus. Er hatte seine Schwester bei sich, die Mutter von Angela, Nannetta und Martina, welche ihn aber nicht erbost betrachtete. Das Beichtgeheimnis schien ihr gegenüber gewahrt worden zu sein. Es war nicht leicht, sich bei ihrem Anblick auf scharfe Worte über die Bosheit von Pfarrern zu konzentrieren, welche gebeichtete Sünden weiteren beteiligten Sündern nicht vergeben wollten. Aber wenn er herumstotterte, dann würde Don Tosello einen guten Grund haben, ihn nicht predigen zu lassen, also gelang es Giacomo, bei der Sache zu bleiben.
»Das, äh, ist zum Teil durchaus schön gesagt«, kommentierte der Pfarrer von San Samuele, als Giacomo schließlich endete, denn er hatte alle Drohungen zusammengefasst, die je ein Apostel oder Kirchenmann gegen Gläubige ausgestoßen hatte. »Man merkt, dass Sie in Padua studiert haben. Aber … wird das nicht etwas viel Verwirrung stiften. Ich habe das Gefühl, Sie haben nicht eine Mahnung ausgelassen! Mein Sohn, da wäre es doch besser, Sie trügen eine ordentliche Predigt vor. Ich kann Ihnen diejenige, die ich für den Sonntag vorbereitet hatte, überlassen. Darin geht es um die Verführung unschuldiger Kinder. Niemand braucht je zu erfahren, dass sie nicht von Ihnen stammt, ich verspreche es Ihnen.«
Ha, dachte Giacomo. Das Angebot, überhaupt noch in seiner Kirche predigen zu dürfen, egal zu welchem Thema, hätte Don Tosello nie gemacht, wenn der Abbate Grimani das nicht eindeutig gefordert hätte. Der Pfarrer stand unter höherem Druck und konnte ihm den Auftritt gar nicht verbieten. Rache war manchmal doch ein süßes Gericht, und wenn Don Tosello glaubte, Giacomo zwingen zu können, diese Predigt gegen sich selbst zu richten, dann irrte er sehr. Schließlich waren Nannetta und Martina beide älter als Giacomo; und Angela, die hinterhältige Schlange, genauso alt wie er. Als unschuldige Kinder konnte man also keinen von ihnen bezeichnen.
»Ich danke Ihnen, hochwürdigster Vater, aber ich will eigenes Geisteserzeugnis geben, oder gar nichts!«, sagte er laut und schaute aus den Augenwinkeln zu der Schwester des Pfarrers, die beeindruckt schien. Wie hatte er nur glauben können, das Leben sei schlimm? Das Leben war wunderbar und voller Möglichkeiten für einen findigen Mann, der sich von böswilligen, modefeindlichen Pfaffen nicht einschüchtern ließ.
»Diese Predigt werden Sie in meiner Kirche so aber nicht halten!«, war der letzte Versuch Don Tosellos, den Auftritt des jungen Abbate in seiner Kirche zu verhindern.
»Darüber müssen Sie mit dem Abbate Grimani sprechen. Und mit Seiner Exzellenz, Senator Malipiero, der mich ebenfalls zu hören wünscht. Unterdessen werde ich die Predigt dem Zensor unterbreiten. Sollte dieser Eure Einwände teilen, nun, dann werde ich sie eben drucken lassen müssen.«
»Drucken?«, ächzte Don Tosello, offenbar kein Freund von Büchern, selbst wenn sie von der Staatszensur nicht missbilligt wurden.
»Mit einer Widmung nur an Euch«, nickte Giacomo, verbeugte sich und verließ das Pfarrhaus, nicht ohne der Mutter seiner beiden Geliebten die Hand geküsst zu haben. Er hatte den nächsten Kanal noch nicht erreicht, als ihn der Pfarrer einholte. »Gehen Sie nicht zum Zensor. Ich genehmige die Predigt. Ändern Sie nur den Leitsatz. Verführung, ohne irgendwelche Zusätze. Sie müssen doch einsehen – das Wort kann missverstanden werden!«
»Aber hochwürdigster Vater, ich habe Sie selbst ähnliche Begriffe verwenden hören. Die Gläubigen werden froh sein, die Stimmen der Bibel zu hören, da bin ich sicher.«
Don Tosello hob beide Hände, wie um sich die Haare zu raufen. Dann ließ er sie wieder sinken.
»Würden Sie«, fragte er langsam, »auch so predigen,
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