Verfuehrung
hatten die Nichten Don Tosellos Mutterwitz bewiesen und darauf bestanden, ihrem Onkel umgehend zu beichten, weil ihr Vater, der aus Sizilien stammte, von der ganzen Angelegenheit nichts erfahren durfte. Der Mann weigerte sich auch nach zwanzig Jahren in Venedig noch stur und steif, sich den hiesigen Sitten anzupassen und alle Mädchen, die in die Ehe gingen, ohne vorher schwanger geworden zu sein, als unberührt anzusehen: Er hatte gedroht, seine Töchter in ein Kloster seiner Heimat zu schicken, wenn ihm böses Gerede über sie zu Ohren kam. Doch nun war Don Tosello an das Beichtgeheimnis gebunden und durfte nichts von all dem, was er erfahren hatte, weitererzählen. Nannetta schwor, weder sie noch Martina hätte von Verführung gesprochen oder die Schuld auf Giacomo geschoben, ehe sie eiligen Schrittes nach Hause rannte.
Was Giacomos christlicher Mentor als Nächstes tat, hätte er bei einem ehelichen Spross der Familie Grimani nie gewagt. Er überredete die Großmutter, ihn frühmorgens in Giacomos Zimmer zu lassen, und schnitt ihm im Schlaf alle Haare ab, die er erreichen konnte. Sein Bruder war gewiss schon wach, als es geschah, und tat doch nichts, um es zu verhindern. Stattdessen wartete er, bis der Priester wieder fort war, und brach dann in lautes Gelächter aus, von dem Giacomo erwachte.
»Das hast du nun davon!«
Francesco war noch damit beschäftigt, sich auf die Schenkel zu schlagen und die Tränen aus den Augen zu wischen, als Giacomo bereits wütend in seine Kleider schlüpfte, nach Francescos Perücke griff und aus dem Haus rannte.
Natürlich war Giacomo eitel und stolz auf sein Haar, das füllig wie das seiner Mutter war, und darauf, keine Perücke nötig zu haben. Nun musste er auf Wochen mit einer herumlaufen, die noch dazu schlecht saß, weil sie die seines jüngeren Bruders war, des gemeinen Verräters und Neidhammels. Der Pfarrer hingegen konnte sich eins ins Fäustchen lachen und sinnen, wie er sonst noch rächen konnte, was ihm, unter dem Beichtgeheimnis, anvertraut worden war. Es war unerträglich!
Aber auch er würde Rache nehmen, und die nahm ihren Anfang mit einem Besuch im Palazzo Grimani.
»Don Michele empfängt keine unangemeldeten Gäste«, sagte der Majordomus mit scheelem Blick auf sein Haupt, »und schon gar keine Komödianten.«
»Dann muss er wahrlich über wundersame Fähigkeiten verfügen, denn immerhin besitzt er ein Theater, und man möchte meinen, dass er hin und wieder mit den Menschen spricht, die darinnen arbeiten«, gab Giacomo schlagfertig zurück. »Doch Don Michele wollte ich gar nicht mit meiner Gegenwart behelligen. Sein Bruder, der Abbate Alvise Grimani, ist mein Vormund, und ihm möchte ich meine Reverenz erweisen.«
»Ich werde Seine Exzellenz davon in Kenntnis setzen«, entgegnete der Majordomus ungnädig. »Warten Sie hier.«
»Hier« war der Innenhof des Palazzo. Giacomo fand, bis in den ersten Salon hätte man ihn schon auf Treu und Glauben vorlassen können. Es musste die verwünschte, schlechtsitzende Perücke sein.
Schließlich durfte er einem Lakai die Treppe hoch folgen, die so sehr mit weißem Stuck verziert war, dass man das Gefühl hatte, über eine Zuckertorte zu laufen. Er musste nicht in dem großen Salon für Bittsteller warten, sondern wurde in das zweite Zimmer vorgelassen, dessen Decke als wunderschöner Wald ausgemalt war, voll frischem grünem Laub und bunten Vögeln, die so fein gestaltet waren, dass sogar die einzelnen Federn deutlich zu erkennen waren. Giacomo hatte seinen Bruder Francesco als Lehrling an Baumblättern für die Bühnenbilder herumpinseln sehen. Daher wusste er, wie lange so etwas dauerte. Die Grimani mussten entweder einen Maler sehr lange oder ihn und seine gesamte Werkstatt sehr gut bezahlt haben, um jeden Raum in einem eigenen Stil und als ausgesuchtes Kunstwerk gestalten zu lassen.
Die abgewetzten Stofftapeten in dem besten Raum seiner elterlichen Wohnung kamen ihm in den Sinn. Dennoch hatten sein Bruder und er Glück, dass ihre Mutter oder einer der Grimani, als einer ihrer ehemaligen Liebhaber, weiterhin die Miete für diese Räume zahlte.
»Giacomo! Was muss ich hören«, sagte der Abbate Grimani, als er den Raum betrat. Die Hoffnung, dass seine säuerliche Miene Mitleid mit Giacomos misshandeltem Haupt ausdrücken sollte, schwand bereits mit seinen nächsten Worten.
»Statt der Theologie widmest du dich so sehr der Welt, dass der gute Pfarrer von San Samuele dich züchtigen musste!«
Davon hatte
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