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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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anzuflehen. Immerhin war sie wie Angiola dunkelhaarig und schwarzäugig, was eine Verwandtschaft nicht gleich auf den ersten Blick unwahrscheinlich erscheinen ließ. »Mein geliebter Sohn!«, rief sie aus, kaum, dass Angiola an Appianinos Seite die Pension in Rimini betrat, mit der Signora Lanti ihrer Familie ein Auskommen sicherte. »Willkommen!«, und sie presste Angiola an ihren großen, prallen Busen.
    Die letzte Frau, die Angiola umarmt hatte, war ihre Mutter gewesen, und auch diese Umarmung hatte zur Lüge gedient, um Angiola ihre Entscheidung für Falier zu erleichtern. Sie fragte sich, ob es ihr möglich sein würde, je wieder einer Mutter zu vertrauen.
    Signora Lanti hatte ihren Kindern nichts von dem erzählt, was Appianino ihr geschrieben hatte. Keiner von ihnen hatte nennenswerte Erinnerungen an den älteren Bruder, der bereits mit fünf Jahren die Familie verlassen hatte, und als Signora Lanti ihnen berichtete, die grausame Nachricht von Bellinos Tod habe sich als Fehlmeldung erwiesen, da gab es auch bei den Geschwistern keine Zweifel an dieser Behauptung.
    Bellino. Das war der Kastratenname, den der tote Junge sich gewählt hatte und jetzt der Angiolas war. Bellino.
    Die Mädchen, Cecilia und Marina, liefen zu ihr und drückten ihr Küsse auf die Wangen. Der ältere Bruder, Petronio, der nur ein Jahr jünger als sie selbst war, lächelte und umarmte sie kurz. danach flüsterte er ihr ins Ohr: »Wenn du nicht überlebt hättest, wäre ich jetzt selbst drangewesen, also danke ich Gott für deine Gesundheit, Bruder! « Sie hatte nie überlebende Geschwister gehabt, und es war seltsam, Kinder in den Armen zu halten, auch wenn die vor ihr stehenden schon recht groß waren, kurz nachdem sie sich endgültig entschieden hatte, nie welche zu bekommen, denn wie sollte sie das, wenn sie als Kastrat gelten wollte? Aber gewiss würde sie auch nie Kinder wollen. Sie fühlte sich auch nach dem Jahr mit Appianino immer noch nicht ganz erwachsen.
    »Wenn dein Busen größer wird«, hatte Appianino ihr auf der Reise geraten, »dann ist das etwas, was du mit vielen unserer Art gemeinsam hast, und du kannst es als normal erklären, statt dir immer nur feste Binden umzuwickeln. Aber du brauchst etwas, um dich gegen Griffe in die Hose abzusichern, falls jemand dein Geschlecht bezweifelt.«
    »Aber tun die Leute das denn? Einfach so, ohne einen vorher zu warnen? Wenn man sie gar nicht dazu ermutigt?«
    Sobald sie die Frage ausgesprochen hatte, hätte sie sich auf die Zunge beißen wollen, denn sie erinnerte sich nur zu genau, was er ihr einmal über seine Gönner erzählt hatte und wie sich viele von ihnen verhielten, wenn er zu ihnen in die Kutsche stieg.
    »Ständig«, sagte er und zeigte ihr das Instrument, mit dem sie künftig solche Neugierigen würde abwehren können. Das Teil war ein wenig größer als sein eigenes Glied, wenn es schlaff war, mit einer Haut aus Leder und gefüllt mit dem gleichen Klebgummi, der es mit ihrem Körper verbinden sollte. Sie musste sich die Schamhaare rasieren, damit es ohne Probleme haften konnte, und kam sich zuerst gleichzeitig nackt und bedrängt vor. Gummi und Leder erwärmten sich schnell, aber es war ein Fremdkörper, ständig an ihre intimste Stelle gepresst, und es würde wohl eine Weile dauern, bis sie das Ding in ihren Hosen einfach ignorieren konnte. Immerhin half es ihr dabei, nie zu vergessen, dass sie sich stets anders bewegen musste, als sie es früher getan hatte, in Röcken.
    Appianino reiste noch am gleichen Tag weiter, damit mögliche Verfolger ihn nicht mit Angiola Calori in Verbindung brachten. Sie hatte sich fest vorgenommen, beim Abschied würdig und gelassen zu sein, und das war sie auch. Als aber die Postkutsche mit ihm darin losfuhr, war die Aussicht, ihn mindestens ein Jahr nicht mehr zu sehen, auf einmal ganz und gar unerträglich, und sie rannte der Kutsche hinterher, mit der Freiheit ihrer rocklosen Beine. »Giuseppe«, rief sie. So hatte sie ihn nie genannt, hatte nie den Namen benutzt, auf den er getauft worden war, den Namen, den er getragen hatte, ehe man ihn kastrierte. Er streckte die Hand aus der Kutsche, und sie ergriff sie, ein, zwei, drei Herzschläge lang, während ihr das Herz bis in den Hals pochte. Dann wurde die Kutsche schneller, ihre Finger lösten sich aus den seinen, und er war fort.

    Ihr neuer Musiklehrer war ebenfalls ein Kastrat, ein wirklicher, einer von denen, bei denen es nie zu einer Karriere bei der großen Oper gereicht hatte. Er

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