Verfuehrung
um den Weg wieder befahrbar zu machen. Sie müssten am nächsten Tag umkehren oder bei ihm warten, bis sie weiter nach Rom fahren könnten.
Der Advokat beriet sich mit seinen Damen. Donna Lukrezia war dafür, zu bleiben, ihre Schwester für die Rückreise. Giacomo hielt ihnen vor, dass sie dadurch zwei Tage verlören, einen für den Rückweg, einen weiteren für die erneute Anreise bis zur Poststation. Das gab den Ausschlag.
Es stellte sich heraus, dass nur zwei Zimmer in der Posthalterei für die besseren Personen zur Verfügung standen. Der Advokat machte Giacomo den Vorschlag, dass er ein Zimmer mit ihm nehmen solle, da so ein Zimmer für die beiden Damen frei würde. Gerne willigte Giacomo ein. Auf diese Weise war seine Angebetete von ihrem Mann getrennt, alles Weitere würde sich ergeben.
Das gemeinsame Abendessen verlief ähnlich unterhaltend wie die Reise. Der Advokat wurde diesmal allerdings sehr schnell müde, entschuldigte sich ständig für sein kaum noch unterdrücktes Gähnen, seine Schwägerin schwieg und ignorierte völlig das Redegefecht, welches sich ihre Schwester mit Giacomo unter ständigem Lachen lieferte.
Ein einziges Mal lockte das Gespräch sie doch aus der Reserve, als Giacomo nach Rosannas Verlobtem fragte. Ehe Donna Lukrezia erklären konnte, um wen es sich handelte, fuhr Rosanna selbst dazwischen und sagte: »Bitte lassen Sie Ihre lange Nase aus unseren Angelegenheiten heraus, die gehen Sie nichts an.«
Das riss den Advokaten aus seiner Schläfrigkeit, und er schnalzte missbilligend mit der Zunge. Ehe der Mann seine junge Schwägerin ermahnen konnte, beschloss Giacomo, das Stichwort zu nutzen, das ihm da unversehens geliefert worden war.
»In Venedig sagt man, eine lange Nase ließe auch sonst auf Größe schließen, und in der Liebe und im Krieg würde immer der gewinnen, der über die längsten Waffen verfüge«, antwortete er verschmitzt.
Rosanna blieb der Mund offen. Lukrezia hob eine ihrer eleganten Augenbrauen. »Und ich dachte, im Krieg siege Ausdauer und Kampftechnik über bloße Waffenprahlerei. Aber was weiß ich schon, als einfaches Weib.«
»Keine Frau ist je einfach«, sagte Giacomo, der in dieser Minute beschloss, dass sie eine Göttin auf Erden war, »und mir selbst scheint, für einen Erfolg ist immer beides nötig. Eine Waffe ohne Raffinesse und Ausdauer zu führen ist so wertlos, wie über Ausdauer und Technik zu verfügen, aber nicht mehr im Besitz von Waffen zu sein … wenn man etwas gewinnen will, versteht sich.«
Wenn ihrem Gatten die Doppeldeutigkeit des Wortwechsels aufgefallen war, so ließ er sich das nicht anmerken. Stattdessen meinte er, als ob er sich verpflichtet fühle, zu dem Gespräch wieder etwas beizusteuern: »Sie sind noch sehr jung, Signor Abbate. In meinem Alter wissen Sie, dass der Krieg zwar durch die neuen, längeren Kanonen gewonnen wird, aber auch, dass für alte Generäle nichts süßer ist, als die alten Schlachten im Geiste immer wieder durchzufechten. Warten Sie es nur ab. Ihnen wird es eines Tages nicht anders ergehen.«
Rosanna, die wegen des von ihr eingebrachten Stichworts sichtlich wütend auf sich selbst und das Verhalten ihrer Begleiter war, stand auf, meinte, sie sei müde und gehe zu Bett. Sie forderte ihre Schwester auf, sie zu begleiten. Donna Lukrezia bewies Geistesgegenwart. Sie würde sicher noch eine Stunde brauchen, um einzuschlafen, und der Esstisch hier sei doch ein wunderbar geselliger Ort, meinte sie und teilte so Giacomo mit, was er wissen musste. Danach gab sie ihrem Mann einen Kuss auf die Wange und folgte ihrer jüngeren Schwester.
Der Advokat erklärte bald darauf, auch er würde zu Bett gehen, weil er in der Kutsche kein Auge habe zumachen können. »Wollen Sie mich begleiten, Signor Abbate?«
»Ich werde noch kurz mit dem Postmeister sprechen, um zu hören, was uns die nächsten Tage erwartet«, antwortete Giacomo und wünschte eine gute Nacht. »Ich werde dann folgen und mich ganz leise verhalten, das verspreche ich Ihnen.«
Mit einer müden Geste winkte der Advokat ab.
»Das brauchen Sie nicht, mein junger Freund. Wenn ich schlafe, bringt mich kein Gewitter mehr dazu, aufzuwachen, egal, wie heftig es ist, darauf können Sie sich verlassen.«
Giacomo war mehr als glücklich über diese Antwort und begab sich zum Postmeister, den er mit zwei äußert dreckig aussehenden Leuten antraf, die von der verschütteten Straße gekommen sein mussten. Ob es Nachricht gebe, wann die Straße wieder frei sei,
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