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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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seiner eigenen Zukunft ins Auge schaute. Würde er eines Tages der alte Mann mit einer viel jüngeren Frau sein, der sich einreden konnte, dass sie ihn nicht um seines Standes oder Geldes willen begehrte? Bei der Schönheit gerade dieser Frau war das eigentlich keine so üble Aussicht, vor allem, wenn man sie mit dem Leben der Bauern in Kalabrien verglich, und er fand den Advokaten sowohl klug als auch von angenehmer Umgangsart. Doch mit der Grausamkeit seiner Jugend weigerte er sich, zu glauben, die schöne Lukrezia könne ihrem Gemahl ernsthaft in Liebe verbunden sein.
    Die Straße, auf der sie gen Rom fuhren, war aufgrund von heftigen Regenfällen während der letzten Tage in einem noch erbärmlicheren Zustand, als sie es unter normalen Umständen schon gewesen wäre. Auf dem bisherigen Weg hatte das zu manchem Fluch geführt. Jetzt freute er sich über jedes größere Loch, weil er so in den Genuss kam, unter Donna Lukrezias Kleid köstliche Bewegungen eines wahrlich nicht klein geratenen Busens wahrzunehmen. Nur ihr wundervolles Gesicht, ihre tiefschwarzen Augen, abgeschirmt von langen Wimpern, veranlasste ihn, wieder aufzublicken, um festzustellen, dass die Dame auch seine Blicke suchte. Umso besser, schließlich wollte er sie kennenlernen, nicht nur anstarren wie ein Bauer. Dem Advokaten schienen die Blicke zwischen dem Fahrgast und seiner Frau nicht aufzufallen. Der alte Herr war seiner Heimatstadt offensichtlich sehr zugetan und genoss sichtlich den Ausblick durch das Kutschenfenster auf den an diesem Tag in klarem Licht immer wieder auftauchenden Vesuv, als hätte er nicht sein ganzes Leben bereits Zeit gehabt, sich an dessen Anblick zu erfreuen.
    »Wir haben derzeit einige deutsche und englische Gelehrte in Neapel«, sagte er zu Giacomo, »die darauf schwören, dass sich in den verschiedenen Ablagerungen der Vulkane der Schlüssel zur Entstehung der Erde verbirgt.« Etwas verspätet setzte er leicht beunruhigt hinzu: »Natürlich bin ich ein guter Christ, Signor Abbate, ich will nichts gegen die Lehren der Kirche gesagt haben.«
    »Oh, ich bin sicher, unser Abbate ist neuen Theorien gegenüber offen«, versetzte Lukrezia trocken. Falls sich eine Doppelbedeutung in ihrer Aussage versteckte, blieb sie ihrem Mann verborgen, der von nun an glücklich mit Giacomo die neuesten Theorien über die Erdschichten erörterte. Für solche Prüfungen, dachte Giacomo, brauchte der Mensch Selbstdisziplin. Immerhin ließen sich in Beschreibungen von Bergen und Seen ein paar Metaphern und Komplimente für geneigte Ohren einflechten. Schließlich waren die meisten Naturerscheinungen weiblich!
    Im Gegensatz zu dem Advokaten entging Rosanna keineswegs, dass die Blicke ihres neuen Reisegefährten keinen Moment den Landschaften außerhalb der Kutsche folgten. An den geographischen Darlegungen ihres Schwagers beteiligte sie sich nicht, bis auf die spitze Bemerkung, mit einem Fortschreiten der Naturwissenschaften könne es gewiss nichts werden, solange sich manche Männer nur für bewegliche Hügel interessierten.
    »Meine Liebe, ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt, dass die Geschichten über ganze Palmeninseln auf Walrücken nur Märchen sind«, entgegnete der Advokat milde. Giacomo, der nicht vergessen hatte, welchen Ärger es für ihn bei Nannetta und Martina um ein Haar bedeutet hätte, eine Schwester gegen sich zu haben, versuchte daraufhin, Rosanna etwas mehr in das Gespräch einzubeziehen und auch ihr ein wenig den Hof zu machen, doch vergeblich. Sie zog es vor, sich schmollend in ihre Ecke der Postkutsche zurückzulehnen.
    »Meine Schwester ist ein wenig aus dem Gleichgewicht dieser Tage«, meinte Lukrezia lächelnd. »Wir werden in Rom die Eltern ihres Verlobten treffen, um die Ausrichtung ihrer Hochzeit zu planen.«
    Giacomo hörte an diesem Tag nur das, was er hören wollte, und war sicher, sie wollte ihm damit auch bedeuten, ihre Schwester in Ruhe zu lassen und sich nur ihr, Lukrezia, zu widmen. Zumindest konnte sie seine Person nicht abstoßend finden, sonst wäre sie wie Rosanna in Schweigen versunken, was selbst ihm als Ablehnung erschienen wäre.
    Am frühen Abend kam eine Nachricht, die auf Giacomo wie ein Wink des Himmels wirkte. Sie hatten die Poststation erreicht, wo sie übernachten wollten, und hörten von dem dortigen Posthalter, dass die Straße in einem engen Tal vor ihnen durch die Regengüsse total verschüttet sei und die herbeigeholten Bauern sicher noch zwei Tage, vielleicht drei brauchen würden,

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