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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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kämpfen wir eben mit dem«, sagte er. »Du bist gar nicht so schlecht mit dem Stock.«
    »Es war heute wieder ein so schöner Tag für mich, und wenn sich Leute über mich lustig machen, während ich im Wasser herumplatsche, dann ist er das nicht mehr.«
    Petronio schwieg. Er hatte lockige schwarze Haare und konnte wirklich als ihr Bruder durchgehen. Sie fragte sich, ob sie ihm glich, wenn sie schlechter Laune war, so wie er jetzt, wenn er die Unterlippe leicht vorwölbte und die Augenbrauen zusammenzog.
    »Du träumst, wenn du denkst, dein Appianino holt dich nach«, verkündete er plötzlich. »Der hat doch inzwischen längst ein Dutzend getroffen, die dich bei ihm ersetzen.«
    Diese Möglichkeit war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen, und auf einmal fragte sie sich, warum nicht. Schließlich hatte sie in Bologna selbst erlebt, wie sich Frauen und Männer Appianino an den Hals warfen. Frauen und Männer mit Geld und Ansehen, keine Mädchen, die er als Kastrat verkleiden und für die er auch noch Geld ausgeben musste.
    Doch nein. Er liebte sie. Natürlich hatte er das nie gesagt, nicht in genau diesen Worten, aber gemeint hatte er es mit jeder Geste und allem, was er für sie getan hatte. Und es gab etwas, das nur sie ihm geben konnte.
    »Kein anderer kann ihm meine Stimme ersetzen«, sagte Angiola selbstbewusst. »Wir werden zusammen auf der Bühne stehen, er und ich, und die Welt erobern.«
    Petronio lachte. »Bellino, du hast heute bei der Morgenmesse wirklich köstlich geklungen, das stimmt. Aber die Menschen erobert man nicht mit Musik. Da gibt’s doch nur zwei Dinge, die jeder von jedem will: Geld und Schwänze. Oder Ärsche. Oder …«
    Sie unterbrach ihn, weil sie das Wort nicht hören wollte. »Du hast doch keine Ahnung, wovon du redest«, sagte sie mit der Überlegenheit des einen Jahres, das zwischen ihnen lag, und ihrer Liebe zu Appianino.
    »Doch, das habe ich. Du glaubst wohl, du bist der Einzige, der hier durch deinen Appianino Geld für Mama anbringt, aber das bist du nicht.«
    Angiola starrte ihn an. »Wie meinst du das?«, fragte sie verdutzt.
    »Die haben dir auf dem Konservatorium wohl Augen und Ohren verklebt. Hör zu, manchmal wollen die Gäste, die hier absteigen, etwas mehr als Makkaroni oder eine warme Wasserflasche, und Mama kann da meist nicht mehr aushelfen. Aber ich schon.«
    Er konnte das unmöglich so meinen, wie es sich anhörte.
    »Du meinst, du hilfst als Knecht aus, mit dem Gepäck oder putzt ihnen die Schuhe …«, begann sie und hörte den flehenden Unterton in ihrer Stimme.
    »Ich putze ihnen den Schwanz, mit meiner Zunge«, sagte er offen. »Seit dem letzten Jahr schon. Nicht allen, aber denen, die Geschmack daran haben.«
    »Und deine Mutter weiß das?«, fragte Angiola fassungslos.
    Er stieß sie mit dem Ellbogen in die Seite. »Sie ist auch deine Mutter, und die Jungfernschaft von Cecilia hat sie auch schon verkauft«, sagte er. »Was meinst du denn, wer das Geld von den Gästen dafür bekommt? Außerdem, jetzt, wo der Vater schon so lange tot ist, da bin ich der Mann in der Familie, und ein Mann ernährt seine Familie, so ist das eben.«
    »Nein, so ist das nicht«, sagte Angiola, sprang auf und suchte nach Signora Lanti, die sie beim Abwasch fand, fröhlich mit Cecilia und Marina plaudernd. »Mama«, sagte Angiola mit gepresster Stimme, »ich muss mit Ihnen sprechen. Alleine.«
    »Dann hilf uns beim Abtrocknen, dann geht es schneller«, versetzte Signora Lanti gutmütig. Warum nur benahm sie sich weiterhin wie ein liebenswerter Mensch, wenn sie gleichzeitig ihre Kinder verkaufte? Warum war sie nicht wie die Hexen in den Märchen, wie in dem, das sie ihren Töchtern gerade erst erzählt hatte, als Angiola in die Küche gestürmt war?
    Vielleicht hatte Petronio alles erfunden. Vielleicht war er einfach nur ein aufschneiderischer Junge, der mit Dingen prahlte, die er von anderen Jungen gehört hatte, ohne zu begreifen, wie ungeheuerlich sie waren.
    Aber hatte ihr Appianino nicht gesagt, dass er Signora Lanti ausgesucht hatte, weil sie Geld brauchte? Dass sie und »mein verstorbener Beppo, die gute Seele« ihren ältesten Sohn hatten kastrieren lassen, bewies doch schon, dass sie ihre Kinder durchaus als Einkunftsmöglichkeit sah, ganz gleich, wie liebevoll sie sich ihnen gegenüber verhielt.
    Bestand ein Unterschied darin, dachte Angiola, während sie erbittert mit einem Handtuch Geschirr abrieb, ob man seine Kinder in eine Ehe an einen Professor verkaufte, in dessen

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